Frau des Windes - Roman
Erbin von Imperial Chemical Industries in ihrem Zimmer ganz andere Dinge zeichnet als den Apfel, den er sie immer und immer wiederholen lässt. Ebenso wenig weiß er, dass Leonora eine Romanze mit einem Ägypter mit großer, vorspringender Nase hat.
In ihrem Keller malt sie, was die Phantasie ihr eingibt. Die Resultate zeigt sie nur ihrer Freundin Ursula Goldfinger, die sie nach dem Unterricht begleitet. »Dein Mann ist also Ungar?«, fragt sie Ursula. »Ja, und ein bekannter Architekt. Du musst ihn unbedingt kennenlernen.« Eine zweite Freundin, Stella Snead, vertraut ihr an, Ursula sei die Erbin des Marmeladenherstellers Cross and Blackwell und könne sich alles kaufen, was sie wolle. Ursula, groß und kräftig, mag Leonora, weil sie unkonventionell ist und Kritik offen äußert. Im Unterricht hört sie sich an, was die Mitschüler erzählen, und rät Ursula ironisch: »Denk von anderen nur das Schlechteste.« Stella ist unbeständig, Leonora indessen erscheint regelmäßig im Unterricht und klagt nicht über die geforderte Disziplin. Ozenfant verlangt von seinen Schülern, sich mit den Grundlagen der Malerei zu befassen: Woraus besteht ein Zeichenstift, was steckt in einer Farbtube, wie setzt sich Ölfarbe zusammen? Sie müssen sich stahlharte Stifte besorgen, müssen freihand zeichnen und üben, üben, üben. Nur einmal wagt Leonora die Bemerkung:
»Der Apfel ist faul.«
»Stell ihn dir so vor, wie er frisch aussah«, entgegnet Ozenfant.
Im oberen Teil des Blattes skizziert Leonora eine Frauenfigur, ihre Linienführung ist sauber, nicht verzittert. Leonora hat noch nie eine andere Frau nackt gesehen; sie zeichnet sie auf Anhieb. Sie besitzt keine Anatomiekenntnisse wie die anderen, dafür aber lebt ihre Zeichnung, im Gegensatz zu Ursulas, von Stellas ganz zu schweigen. Ozenfant gratuliert ihr.
Eines Nachmittags verkündet der Lehrer, das Modell sei nicht erschienen. Eine der Schülerinnen erklärt sich bereit, es zu vertreten, ein mageres Ding mit tief in den Höhlen liegenden Augen.
Ein andermal bietet Leonora sich zum Modellstehen an.
»Tu’s nicht«, rät ihr Ursula. »Weißt du nicht mehr, was er die gefragt hat, die es beim letzten Mal gemacht hat: Was sind Sie denn? Eine Spinne?«
Der Lehrer ist direkt, manchmal gnadenlos in seiner Einschätzung.
»Deine Arbeit ist wertlos, du nimmst sie nicht ernst; falls sich das nicht ändert, kannst du hier nicht weitermachen. Ich gebe dir noch eine Woche.«
In der Tate Gallery lernt Leonora einen jungen Mann kennen, der Whistler kopiert, mit einer Inbrunst, die das gesamte Museum durchströmt. Leonora freut sich jedes Mal, ihn zu sehen, und wenn er nicht da ist, fehlt ihr etwas.
Ursula erzählt ihr, in anderen Kunstkursen müsse man den Wagenlenker von Delphi , den Apollon , die Venus von Milo zeichnen, ihr falle dabei vor Langeweile der Stift aus der Hand.
Wenn Leonora nach dem Unterricht durch die Stadt läuft, geht sie gern in Antiquariate und kauft sich von ihrem Ersparten Bücher über Alchemie.
»Die Alchemie«, sagt der alte Buchhändler, »ist ein Weg zu vollkommenem Wissen und führt zur Befreiung.«
»Genau das suche ich, Freiheit, aber ich will damit auch meinen Vater verwandeln.«
»Dein Vater wird dich vernichten.«
Leonora kauft sich ein bernsteinfarbenes Fläschchen, dessen Inhalt Menschen ändern, ihre Neugeburt bewirken und vor Nervenkrisen bewahren soll.
Leonora verwandelt ihre Freiheit in eine lebendige Kraft.
»Je freier ich mich fühle, umso besser male ich, Mama. Dank der ungeheuren Kraft, die in mir steckt, mache ich stetige Fortschritte.«
Neugierig lauscht Maurie ihrer Tochter; auch sie glaubt, dass noch manches Tor zur Erkenntnis verschlossen ist und Zaubertränke und Magie der Schlüssel dazu sein könnten. Sie schenkt ihr das Buch Surrealism von Herbert Read, dessen Umschlag ein Gemälde von Max Ernst ziert: Zwei Kinder werden von einer Nachtigall bedroht . Der Anblick trifft Leonora ins Mark.
»Du weißt nicht, was du mir da geschenkt hast«, sagt sie aufgewühlt zu ihrer Mutter. »Eines Tages werde ich die Welt genauso sehen, wie Ernst sie gemalt hat.«
Was ist nur bei ihrer Geburt passiert, dass sie so geworden ist? Warum hat man laufend Probleme mit ihr? Und doch trägt sie etwas Wunderbares in sich, etwas, das Maurie nur erahnen, nicht aber wirklich erkennen kann.
Leonora vertraut Ursula an, wie sehr Zwei Kinder werden von einer Nachtigall bedroht sie fasziniert, ein kleines Bild von starker Ausdruckskraft, aus
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