Frau des Windes - Roman
Vater, Sir John Taylor, ist der Anwalt der Familie und ein enger Freund von Harold Carrington, reich, intelligent und mächtig wie er. Diese Ehe, denken die Carringtons, würde sie ein wenig entschädigen für die zahlreichen Enttäuschungen.
»Viele junge Männer hätten dir einen Heiratsantrag gemacht, wenn du sie wenigstens in deine Nähe gelassen hättest. Ich habe sie gesehen und gehört, und sie haben es mir gesagt, aber du vermasselst ja alles«, beschwert sich Maurie.
»Auf gar keinen Fall lasse ich zu, dass ihr mich an den Meistbietenden verschachert, und auf den Heiratsmarkt werde ich mich auch nicht begeben. Ich will Kunst studieren.«
»Leute, die Kunst betreiben, sind arm oder homosexuell. Keines meiner Kinder kann so dumm sein zu glauben, Malen wäre zu irgendetwas nutze«, sagt Harold, der wieder sprechen kann.
Verzweifelt schaut Leonora ihn an. »Aber es sitzt tief in mir, Papa, es ist stärker als ich, ich kann es unmöglich verraten.«
Zu ihrer Verwunderung gibt der Vater nach.
»Bevor du Cedric Taylor heiratest, könntest du Foxterrier abrichten und in deiner Freizeit malen«, bietet er ihr an.
»Taylor heiraten? Hunde abrichten? Wozu?«
»Weil du Tiere magst und auf diese Weise etwas tun kannst, ohne uns Schwierigkeiten zu machen.«
»Ich liebe Taylor nicht, Papa.«
»Obwohl du mit ihm ausreitest?«
»Das ist nicht dasselbe.«
»Er ist eine glänzende Partie. Du hast ja nicht die leiseste Ahnung, was gut für dich ist.«
Der schneidende Blick ihres Vaters verwirrt Leonora.
»Du bist meine Tochter.«
So beginnen all seine Sätze – »Du bist meine Tochter.« Leonora gehört ihm, er hütet sie wie seinen Augapfel, und doch bleibt sie für ihn ungreifbar.
»Papa, nimm mir nicht das Wichtigste, das ich in mir habe.«
Nach jedem Streit mit ihrem Vater kocht Leonora vor Wut. Sie setzt sich in ihr Zimmer und schreibt: ›Die einzige Person, die bei meiner Geburt anwesend war, war unser geliebter, treuer, alter Foxterrier Boozy und ein Gerät zum Sterilisieren von Rindern.‹ Außerdem kommt sie nicht zum Essen herunter, bis ihr Vater an ihre Zimmertür klopft:
»Was machst du jetzt schon wieder?«
»Ich schreibe neue Kapitel für mein Handbuch des Ungehorsams.«
Max Ernst
Harold Carrington gefällt die Antwort seiner Tochter. Allem widersetzt sie sich, sogar ihm. Er, der gehorsame Unterwürfigkeit gewohnt ist, kann nur staunen, dass Leonora keine Angst vor ihm hat.
»Wenn du nach London gehst, bekommst du nicht einen Penny von mir.«
Schließlich erlaubt er ihr, in Chelsea auf die Kunstschule zu gehen. Leonora geht an der Themse entlang, jenem mächtigen und zugleich eleganten Fluss. Auch sie ist ein Fluss, sie hat die Kraft eines Flusses. Wieder läuft sie durch West Kensington und muss lächeln bei dem Gedanken daran, dass sie dieses Stadtviertel beim letzten Mal in einer Limousine durchquert hat. Nach der königlichen Tribüne und dem englischen Hof ist sie in einem Kellergeschoss gelandet und hat kaum etwas zu essen. Auf Anweisung des Vaters gibt ein Angestellter von Imperial Chemical Industries ihr in einem Fiat Fahrstunden. Nachmittags geht es hinaus aufs Land, und die sanften Hänge sind so glattgestrichen, dass Leonora sich freut, Engländerin zu sein.
Das Leben in West Kensington ist angenehm, auch wenn es jeden Tag nur Rührei gibt, auf einer einfachen Kochplatte zubereitet. Serge Chermayeff, der im Auftrag des Vaters ein Auge auf sie hält, rät ihr, die Akademie des französischen Malers Amédée Ozenfant aufzusuchen, der gemeinsam mit Le Corbusier den sogenannten Purismus ins Leben gerufen habe.
Ungeniert mustert der Meister sie von oben bis unten. »Jetzt wirst du arbeiten lernen«, sagt er mit trockener Stimme und französischem Akzent und weist ihr in der Runde seiner Schüler, von denen jeder eine Staffelei vor sich hat, einen Hocker zu.
»Keine Kohle! Kein Rötelstift! Bleistift, nur Bleistift!«
Leonora gehorcht ihm, wie sie noch nie jemandem gehorcht hat. Er bringt ihr bei, einen Apfel mit einem einzigen Strich zu zeichnen. Wenn es nicht klappt, soll sie noch einmal von vorne anfangen, auf einem neuen Blatt Papier, denselben Apfel, der nach und nach verfault. Ozenfant erniedrigt sie nie und macht sich nie über ihre Wünsche lustig. Serge Chermayeff berichtet Carrington, seine Tochter lasse nicht eine Stunde ausfallen und habe Talent. Der Meister hat es geschafft, sie zu bändigen, und die Ergebnisse könnten sich sehen lassen. Er weiß nicht, dass die
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