Frau des Windes - Roman
Art diejenige, bei der Leonora sich am wohlsten fühlt. Kay erkundigt sich nach Renato und versichert ihr, er komme ihr klüger vor als Max.
»Der Hof, den Peggy um sich schart, hat etwas Destruktives.«
»Am destruktivsten ist ihre Nase«, meint Leonora.
Für die Engländerin ist Peggys Nase ein Ausbund an Hässlichkeit. Peggy selbst erzählt, in Saint Louis sei sie eine der Ersten gewesen, die eine Schönheitsoperation haben machen lassen.
»Aber da niemand weiß, wie deine Nase früher aussah, ist ein Vergleich unmöglich«, erwidert Laurence sarkastisch.
Wenn Peggy von ihren Fauxpas und Missgeschicken erzählt, hat sie etwas Fesselndes, aber immer im Mittelpunkt zu stehen würde sogar aus einem Franz von Assisi eine abstoßende Figur machen. Peggys Gefolge ist exzentrisch und lächerlich wie die Höflinge, die vor lauter Kapriolen zu Hofnarren werden.
Max und Leonora sondern sich häufig von der Gruppe ab, was die Nordamerikanerin eifersüchtig macht.
»Ich bin mir sicher, dass Max immer noch in sie verliebt ist«, gesteht sie Kay.
»Keine Sorge, die Frau, die er braucht, bist du.«
Stundenlang gehen Leonora und Max spazieren, besichtigen Kirchen, wandern über die Praça do Municipio und durch die Rua Augusta, und mit jedem Schritt gewinnt Max mehr von seiner einstigen Anziehungskraft zurück. Niemand sieht, was er sieht, niemand spaltet die Sonnenstrahlen, niemand setzt dem Mond einen Hut auf, niemand lässt Gläser singen – niemand verfügt wie er über ein derartiges Repertoire an Möglichkeiten.
Max schenkt Leonora einen von Peggys Geld gekauften Skizzenblock. Sie zeichnen gemeinsam, zeigen sich ihre Skizzen, und Max wird wieder zum zarten, blonden Christkind mit den unschuldigen Augen.
Ernst weicht Carrington nicht von der Seite, und es kümmert ihn keinen Deut, wie sehr Peggy darunter leidet. Er würde Leonora gerne hypnotisieren, damit sie ihn wieder anschaut wie früher. Nie war er so verliebt. Das Gefühl, dass sie ihm mehr und mehr entgleitet, macht ihn aufdringlich, nervös, beinahe hysterisch.
Peggy trinkt.
»Lissabon ist die Hölle für mich«, vertraut sie Kay Boyle an. »Max spricht nicht mal mehr mit mir.«
Lissabon ist ein Menschenmeer, in dem sie, wenn sie wollten, untertauchen könnten, aber Max will gesehen werden. Leonora mit ihrem weißen Gesicht und ihrer schwarzen Mähne ist seine Trophäe, einst hat er sie gewonnen wie der blinde Schwimmer, jetzt wird er sie zurückerobern, bevor er den Atlantik überquert.
Mittags essen sie mit der Gruppe, veranstalten Portwein-Orgien, und Leonora hört Dinge, die ihr Angst machen. Sie selbst mag verrückt gewesen sein, ihre neuen Freunde aber kreisen mit hundertachtzig Stundenkilometern um einen Planeten, dessen Zentrum Max ist. Peggy erzählt, Max werde eifersüchtig, wenn sie sich etwas zum Anziehen kaufe, und wolle es selbst tragen. In Marseille habe sie sich eine Wildlederjacke gekauft, da habe Max nach der gleichen verlangt. Der überraschte Ladenbesitzer habe immer wieder erklärt, es handle sich um ein Modell für Frauen, sich dann aber schließlich bereit erklärt, eine in Max’ Größe anzufertigen.
Von Max kann man einfach nicht die Augen wenden, er hat den Blick des Adlers, und seine Nase gleicht einem silbernen Schnabel.
»Übrigens, Leonora«, sagt Peggy, »Max hat mir seine Bücher geschenkt, darunter auch eines mit einer Widmung an dich: ›Für Leonora, wirklich, schön und nackt.‹ Ich habe auch Die ovale Dame gelesen und Alle Vögel fliegen hoch . Bezaubernd! Auf der Bahnfahrt habe ich die Geschichten ausgelesen.«
Leonora registriert es und löscht es gleich wieder aus ihrem Gedächtnis.
Peggy erzählt ihr von der langen Nacht, die sie mit Max im Zug verbracht hat.
»Wie alt er aussieht, wenn er schläft«, sagt sie, »findest du nicht, Darling?«
Als sie Leonoras Gesichtsausdruck bemerkt, wechselt sie das Thema, sagt, sie würde gern Victor Brauner retten, den Maler, der ein Auge verloren hat. Die USA verweigerten ihm das Visum, da ihr Aufnahmekontingent für rumänische Flüchtlinge erschöpft sei. Leonora schaut zu Max, der schweigt.
Max’ Visum für die Vereinigten Staaten ist abgelaufen, und ein neues ausstellen zu lassen bedeutet, tagelang vor der Botschaft zu warten. Peggy wedelt mit ihrem Pass, und die Beamten lassen sie durch. Allmächtig, wie sie ist, vermag sie die Polizei zu täuschen. Sie ist nicht nur die reiche Erbin, sie rettet auch ihre gegenwärtigen und zukünftigen Ehemänner.
Ein Visum
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