Frau des Windes - Roman
zu beantragen ist die Hölle, oft fehlen Geburtsurkunden oder Ausreiseverfügungen, und manch einer hat nur einen abgelaufenen Reisepass. Verfluchte Bürokratie! Um sie zu vergessen, beschließen die Freunde, Meeresfrüchte im Leao d’Ouro zu verzehren, wo sie Max vorfinden und mit ihm die Engländerin, die Peggy kaum begrüßt.
Wegen eines Fettknotens in der Brust muss Leonora ins Krankenhaus und sich operieren lassen.
Auf dem weißen Kopfkissen breitet sich ihr schwarzes, schulterlanges Haar aus. Durchscheinend sieht sie aus mit ihrer alabasterfarbenen Haut. Die anderen Kranken, denen ihre Schönheit nicht entgangen ist, recken die Köpfe nach ihr. Auch Peggy beeindruckt ihr Anblick. Leonoras große schwarze Augen unter den dichten Brauen blicken sie argwöhnisch an. Die Vollkommenheit ihrer zarten, schlanken Nase verletzt. Sie ist so schön, dass Peggy kehrt macht und im Hotel die Bar aufsucht.
»Geben Sie mir einen doppelten Whisky«, befiehlt sie dem Kellner. »Oder nein, lieber die ganze Flasche.«
Max verbringt seine Tage an Leonoras Bett und verabschiedet sich erst, wenn der Mexikaner kommt. Auch Marcel Duchamp, Herbert Read und Laurence Vail besuchen sie in der Klinik. Alle sind sich einig: Leonora ist eine Erscheinung. »Max lässt sie nicht los. Er ist verrückt nach ihr, erst jetzt merke ich, wie sehr er sie liebt«, stellt Herbert Read fest. »Nie hätte ich gedacht, dass er fähig ist, so zu lieben.«
»Tut es weh?«, erkundigt sich Max in einem fort.
Leonoras blasse Hand ist kaum vom Laken zu unterscheiden.
»Womöglich hast du Fieber. Dein Gesicht ist gerötet.«
Wortlos winkt Leonora ab, lässt ihren Arm wieder aufs Laken sinken, und Max küsst ihre Handfläche. Ungerührt lässt sie es geschehen, sie könnte mit den Fingern durch sein weißes Haar fahren, könnte seine wasserblauen Augen streicheln, aber sie tut es nicht. In Max’ Blick wächst der Schmerz. ›So habe ich in der Villa Covadonga gelitten.‹ Sie schweigt; denn nichts von dem, was ihr hier widerfährt, gleicht den Erlebnissen in Santander. Sie streicht das Laken glatt, dieses wohlige Gefühl ist neu und steigt von den Zehen auf bis in die Haarspitzen. Wie einfach es doch ist, wohlbehütet zu schlafen! In der Villa Covadonga ist sie am Rande des Abgrunds erwacht, inmitten von Uringestank – hier ist das Bett eine Hostie, ein Taschentuch, eine Wolke.
»Ich bin die unbefleckte Empfängnis, küss mir die Füße.«
Max küsst sie.
Leonora ist von sich selbst entzückt. ›Alle lieben mich, deshalb bin auch ich verrückt nach mir.‹
Max und Leonora lesen und zeichnen gemeinsam, in vollkommener Eintracht, Worte brauchen sie nicht, ihr Tag zu zweit vergeht wie im Flug. Kay Boyle schwört, in Leonoras Gegenwart sei Max ein anderer Mensch. Immer wenn sie sich zurückziehe, wirke er traurig, nervös und reizbar. »Er ist absolut verrückt nach ihr.« Kay, die mit einer Sinusitis im selben Krankenhaus liegt wie Leonora, besucht sie morgens in ihrem Zimmer, und die Freundschaft zwischen beiden vertieft sich.
»Was wirst du schlussendlich tun?«, fragt Kay. »Gehst du zurück zu Max?«
»Ich weiß nicht, das kann ich meinem Mann nicht antun. Er war sehr gut zu mir.«
»Max auch.«
»Nicht ganz so.«
»Ach, Leonora, man könnte meinen, du wartetest darauf, dass jemand dich hypnotisiert. Du wirkst wie ein Medium in Trance.«
»Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Bist du denn schon verheiratet? Hast du einen Trauschein?«
»Ja.
»Und gefällt er dir?«
»Ja, er ist ein guter Mensch.«
»Das ist unwichtig. Gefällt er dir als Mann?«
»Ja.«
»Dann verhalte dich nicht länger so, als würdest du auf eine göttliche Eingebung warten, das könnte nämlich ein böses Ende nehmen.«
Kay überredet sie, bei dem Mexikaner zu bleiben.
Max verachtet Renato. Umständehalber aber treffen sie von Zeit zu Zeit aufeinander, für beide stets ein unangenehmes Erlebnis. Renato kennt seine Rechte, und Leonora folgt ihm. »Falls du dich für Max entscheidest, wird er dich irgendwann benutzen«, meint Kay. »Die einzige Form des Zusammenlebens, die Max akzeptiert, ist Hörigkeit.«
»Das war gemein von dir!«, fährt Max Kay an. »Ich dachte, du bist meine Freundin, aber du hast mich hintergangen.«
»Ausgerechnet du sprichst von Hintergehen«, kontert sie.
Nach ihrer Entlassung kehrt Leonora zurück zur Gruppe, die sie mit offenen Armen empfängt.
»Ich verstehe nicht, wie eine so hübsche Frau sich so schlecht anziehen kann«,
Weitere Kostenlose Bücher