Frau Ella
Aluminiumschalen hervor und stellte sie zwischen Messer und Gabel. Also doch wie im Krieg. Abgedeckt war ihre Schale mit einem Pappdeckel, auf dem irgendetwas geschrieben stand, das sie ohne ihre Brille nicht lesen konnte. Es duftete gut, ungewohnt und sehr intensiv, fast weihnachtlich. Die drei setzten sich zu ihr an den Tisch und bogen den Rand der Aluminiumschale zurück, um den Pappdeckel zu entfernen. Die Schalen waren in mehrere Bereiche unterteilt, wie die Teller auf der Raststätte, damals als sie und Stanislaw doch einmal in den Urlaub gefahren waren. Wie lange hatte sie daran nicht gedacht?
»Na los, Frau Ella! Keine Angst vor dem Unbekannten!«, riss Klaus sie aus ihren Gedanken.
»Soll ich Ihnen helfen?«, fragte das Mädchen.
»Das schaffe ich gerade noch selbst.«
Schlecht schmeckte dieses Indonesisch-Asiatische nicht. Der Reis duftete viel stärker als der, den sie kannte. Das Hühnchen war knusprig angebraten und auf Holzspieße gesteckt, obwohl das eigentlich keine Spieße waren, keine Grillspieße, wie sie sie kannte, auf denen kleine Fleischstücke hintereinander aufgereiht waren. Zwei ganze Stücke Brust waren das, die gar keinen Spieß gebraucht hätten, um zusammenzuhalten. Interessant, dachte sie und überlegte, ob es dafür wohl eine Erklärung gab, nur wollte sie nicht fragen und so schon wieder zeigen, wie wenig sie verstand. Außerdem machte die Erdnusssoße in der Tat sehr durstig. Aufmerksam schenkte Klaus ihr immer wieder von dem kühlen Bier nach, und der Geschmack machte sie glücklich. Ihr letztes Bier hatte sie noch mit Stanislaw getrunken, am Abend vor der allerletzten Nacht, nach der sie dann allein gewesen war. Plötzlich. Ganz allein. Sie schaute in die Runde. Sascha starrte nachdenklich auf seine Schale, Klaus ließ es sich mit glänzenden Wangen richtig schmecken, Ute löffelte langsam ihre Suppe. So würde dieses blasse blonde Mädchen nie zu Kräften kommen, aber das ging sie schließlich nichts an. Zum ersten Mal wurde Frau Ella richtig bewusst, dass sie seit einundzwanzig Jahren nicht in so einer fröhlichen Runde gesessen hatte. Seit einundzwanzig Jahren keinen einzigen Schluck Bier, weil das nicht richtig gewesen wäre, ganz alleine, da sie es immer so genossen hatten, sich eine Flasche nach der anderen zu teilen, nie aber mehr als drei. Wie kam das nur, dass sie andauernd an früher dachte?
»Schmeckt es Ihnen nicht?«, fragte das Mädchen.
»Doch, natürlich, exzellent«, sagte sie, die ganz vergessen hatte, weiterzuessen. Sie lächelte und sah, dass auch Sascha nicht mehr ganz so traurig guckte. Das kannte sie, dass Männer gerne komisch wurden, wenn sie Hunger hatten. Vielleicht nicht ganz so komisch, aber immerhin. Ein lustiger Vogel war das, und natürlich hilfsbereit. Sie widmete sich wieder ihrem Feldbesteck und ließ den Blick durch die Küche schweifen. Selbst im Dunkeln bestand kein Zweifel daran, dass das Fenster geputzt werden musste. Und die Spinnweben, die dreckigen Dielen, die bräunlichen Streifen auf der Tür. Das musste Kondenswasser gewesen sein, oder war er so dumm gewesen, die weiße Tür zu wischen und nicht abzutrocknen? Wie auch immer, so schlimm war das nicht, ihr würden ein, zwei Stunden reichen. Sie lächelte ihm zu. Er hob sein Glas in ihre Richtung. Klaus schenkte ihr nach, sie prostete zurück und nahm einen großen Schluck.
Ihr Mund war heiß und trocken von der Soße. Das Bier tat so gut, kühlte den Mund, kitzelte in der Nase und blubberte lustig im Magen, ja, das war ein Vergnügen. Sie hatte ganz vergessen, wie sehr sie Bier liebte, kaltes Bier auf der Zunge, im Rachen, in der Speiseröhre und im Magen, diese Frische, die den ganzen Körper durchströmte. Aber warum sahen die drei sie plötzlich so seltsam an? Klaus zog eine Grimasse, die sie nicht verstand, Sascha hatte alle Fröhlichkeit wieder verloren. Hilfesuchend sah sie nach dem Mädchen, das jetzt kicherte. Machte Ute sich über sie lustig? Hatte sie etwas falsch gemacht? Laut mit sich selbst geredet? Auch Klaus fing an zu lachen. Die beiden hatten einen regelrechten Lachanfall. Nur Sascha grinste schmal, als fände er das alles gar nicht lustig.
»Da sag mal einer, dass man aus alten Rohren nicht schießen kann!«, rief Klaus, dem der Schweiß auf der Stirn stand. »Und guck dir den Sascha an! Der traurige Korsar!«
Das Mädchen kicherte hysterisch. Sascha guckte immer ernster, und das war wirklich lustig, wie die beiden lachten und er so strafend schaute wie ein
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