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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Beckerhoff
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Mississippi jedenfalls hatten die Franzosen sich immer wieder einen Spaß daraus gemacht, die Briten zu den Mücken in den Schlamm zu schicken.
    »Hauptsache, du weißt, was du willst«, hörte er Klaus sagen.
    »Ja, ja, das alte Lied vom Wollenwollen. Hast du mal Feuer?«
    Klaus warf ihm das Kalbslederetui mit seinem Benzinfeuerzeug zu und grinste. Warum hatten sich die Entdecker nicht einfach immer für den Flussarm mit der stärksten Strömung entschieden? Vielleicht, weil die richtige Entscheidung so auch die anstrengendste war. Das war sehr kurzsichtig gedacht. Wirklich ein komplexes Wesen, der Mensch, überlegte er, zündete die Tüte an und musste beim Geschmack der Benzindämpfe an die Bohrinseln vor der Küste Louisianas denken. Da sollte er mal für ein paar Monate anheuern, um mit sich selber und seiner Angst vor schlechten Neuigkeiten klarzukommen.
    Die Tradition, den Überbringer einer schlechten Nachricht umzubringen, hatte er noch nie verstanden. Schließlich war derjenige schon genug gestraft damit, den ganzen weiten Weg mit dieser verdorbenen Ladung machen zu müssen, für deren Verdorbenheit er überhaupt nichts konnte. Andererseits, fiel ihm jetzt ein, konnte es ja auch sein, dass es gar nicht darum ging, den Boten zu bestrafen, sondern darum, den Kreis derjenigen, die um das wirkliche Schicksal der Familie, des Landes oder der Welt wussten, möglichst klein zu halten. Überbrachte der Bote zum Beispiel die Nachricht von der Untreue der Königin, die sich während des Feldzuges auf dem Landsitz mit dem Gutsverwalter getröstet hatte, war der König natürlich daran interessiert, es zu erfahren. War die Nachricht einmal bei ihm, ging es jedoch darum, die Königin tragisch verunglücken zu lassen, Staatstrauer anzuordnen und das Andenken der treuen Gattin zu bewahren. Alles andere hätte zu überflüssigen Spekulationen über die Weisheit seiner Heiratspolitik, wenn nicht sogar über seine Manneskraft geführt. Nur, welcher Bote war so doof, eine solche Nachricht zu überbringen? Wohl nur der, dem nicht bewusst war, was er da brachte, und der hoffte, reich belohnt zu werden. Da er Ute weder belohnen noch umbringen wollte, waren das eigentlich unsinnige Gedanken, denen die Klingel schließlich ein Ende setzte. Da war sie, die Botin, und er ging zur Wohnungstür wie zu seiner eigenen Hinrichtung.
    »Hey Sascha!«, rief sie.
    »Nicht so laut! Sie schläft.«
    »Mann, was ihr auch mit der anstellt!«
    »Kann man ja nicht ahnen, dass es regnet.«
    »Klar«, lächelte sie. »Hier ist Verbandszeug. Wir müssen auf jeden Fall mal eure Verbände wechseln. Ich hab mich ein bisschen schlaugemacht. Sag mal, rieche ich Chili?«
    »Könnte sein.«
    »Vegetarisch?«
    »Kräuter- und Gemüse-Chili.«
    »War das seine Idee?«
    »Klar. Ist schließlich dein Mann.«
    Das nannte man wohl Liebe. Er winkte sie in die Küche und ging selbst kurz ins Wohnzimmer, um die Platte umzudrehen und Frau Ella weitere Wiener Träume zu bescheren. Zufrieden hörte er, wie sie vor sich hin schnarchte, und war selbst davon überrascht, wie wohl er sich fühlte. Noch gab es ja auch keinen Grund, Ute umzubringen. Vielleicht konnte man sich auf diesen Abend wirklich freuen.
    »Komm, ich mach dir das Auge«, hörte er Ute hinter sich flüstern.
    »Na dann«, flüsterte er in Richtung Sofa. »Dann teste ich mal unsere Krankenschwester.
    Noch im Umdrehen sah er aus dem Augenwinkel, wie Frau Ella zwinkerte, ihr verschrumpeltes Augenlid sich ganz kurz hob, ihr Auge feucht glänzte, als schlafe sie gar nicht wirklich. Als sei sie nur sehr langsam, wie eine dieser großen alten Schildkröten, mit denen man sich so gerne über ihre Jugend unterhalten würde, über damals, als Goethe ihr auf den Panzer geklopft und über die Bedeutung einer Grünnuance ihrer Haut philosophiert hatte. Sascha hielt kurz inne, hörte sie aber unverändert weiterschnarchen. Er hatte sich wohl getäuscht, drehte sich nicht noch einmal um und ging ins Bad.
    Kaum hatte er sich auf den Hocker gesetzt, durch sein Gewicht die Luft aus dem blaugrauen Kunststoffbezug zischen lassen, da zerriss es ihm auch schon den Schädel. Er schrie vor Schmerz.
    »Mann, jetzt weck du sie nicht auf! Ist ja schon vorbei.«
    Langsam begriff er, dass sie lediglich das Pflaster entfernt hatte, mit Schwung und ohne Vorwarnung, so wie man es machen sollte, und wirklich, der Schmerz war nicht von Dauer. Nur ein leichtes Ziehen blieb um sein Auge herum.
    Schlecht sah es eigentlich nicht aus. Wenn

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