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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Beckerhoff
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hatte Klaus eine Rettungsdecke im Wagen gehabt, in die sie Frau Ella einwickeln konnten wie eine türkische Pizza, um dann mit geschlossenem Verdeck und voll aufgedrehter Heizung nach Hause zu rasen. Mehr konnte man nicht tun. Es gab überhaupt keinen Grund, sich schuldig zu fühlen. Schließlich hatte er sie zu nichts gezwungen. Schon gar nicht dazu, sich in diesem Laden einkleiden zu lassen, sich den Bauch vollzuschlagen, in der prallen Sonne einen Wein nach dem anderen zu kippen. Natürlich nicht. Kein Grund also für schlechte Laune. Alles war gut. Klaus stand in der Küche und kochte sein Chili, die Heizung parierte den plötzlichen Kälteeinbruch souverän, Ute würde später vorbeischauen. Ein Familienidyll. Hoffentlich hatte er selbst sich nicht erkältet.
    »Für sie ’ne Tüte Schlaf, für uns ’ne Tüte Gras?«, hörte er Klaus, der im Türrahmen stand, als käme er direkt aus einem Lino-Ventura-Film. Bein angewinkelt, entspannt gebeugter Oberkörper, leicht zur Seite geneigter Kopf, schelmisch verruchter Blick. Nur der Hut fehlte, und der dunkle Anzug, aber auch die rot-weiß karierte Schürze machte sich gut.
    »Mir geht’s gut«, sagte er.
    »Na und?«
    »Ich brauch nichts.«
    »Heißt das, du kiffst nur, wenn du was brauchst?«
    »Wann denn sonst?«
    »Schon mal was von Appetit gehört? Ich meine, du lebst ja auch nicht von Zwiebeln und Reis, du bumst nicht nur, wenn du Kinder willst, du stehst nicht nur auf, wenn es irgendeinen Grund dafür gibt, oder? Ich meine, selbst du machst doch mal was nur so, weil du Lust dazu hast.«
    Was war das denn jetzt für eine Predigt? Warum verdammt konnte der Hampel nicht einfach alleine kiffen? Wenn er hier weiter diskutierte, würde er sie noch wecken, die ganze Familienidylle zerstören.
    »Klar«, sagte er, stand auf und ging mit in die Küche. Bei allem, was Klaus für ihn getan hatte, konnte er ihm zumindest Gesellschaft leisten. Er musste ja nicht inhalieren.
    Das Chili jedenfalls duftete phantastisch. Die Heizung knackte. Draußen rauschte der Regen in der Kastanie. Die Küche machte richtig was her, seit Frau Ella hier gezeigt hatte, was sie konnte. Wenn man bedachte, dass sie rund sechs Jahrzehnte bei sich zu Hause und bei anderen für Ordnung und Sauberkeit gesorgt hatte, eigentlich kein Wunder, dass sie das besser hinbekommen hatte als er. Bei allem Fortschritt waren in diesem Bereich viele der Techniken von heute ja noch die von damals. Zeitloses Können sozusagen. Abgesehen vom Backofenspray vielleicht und dem Wischmopp zum Ausdrücken, aber den hatte er ja gar nicht. Er musste sich unbedingt bei ihr bedanken, nachher, wenn sie ausgeschlafen hatte.
    »Übrigens«, setzte Klaus an. »Ute meinte, Lina ist wieder in der Stadt.«
    »Ja und?«, fragte er und versuchte, ruhig zu wirken, obwohl sein Herz raste, dass ihm die Luft wegblieb.
    »Dachte nur, es interessiert dich. Von wegen andere Wege gehen, Telefon ausstöpseln, Tür abschließen.«
    »Sag mal, warum machst du das? Macht dir das Spaß? Kannst du mich mit dieser Scheißgeschichte nicht einfach in Ruhe lassen und dich um deinen eigenen Schwanz kümmern? Es ist großartig, dass du mir mit Frau Ella hilfst, aber hab ich dich darum gebeten? Wenn du nicht endlich aufhörst, mir in jedem zweiten Satz mit Lina zu kommen, dann verpiss dich einfach!«
    »Ich sag ja, so ganz egal ist dir die Alte nicht.«
    »Ja und? Du wiegst hundertzwanzig Kilo. Spreche ich dich da dauernd drauf an?«
    »Hundertzehn«, sagte er und wandte sich wieder dem Chili zu. Das war keine gute Idee gewesen. Nicht, dass Klaus sich je über seine Figur beschwert hätte, aber wer konnte schon wirklich in einen anderen Menschen hineingucken?
    »Ach Scheiße, Klaus. Komm, ich bau uns einen.«
    »Na also. Lina wird dich schon in Ruhe lassen.«
    »Klar«, murmelte Sascha, griff nach den Blättchen und fragte sich, wie sehr er tatsächlich in Ruhe gelassen werden wollte. So ein Mensch war schon ein komplexes Wesen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen.
    Er erinnerte sich an die Geschichte von den Entdeckern des Mississippi, die im Delta des Flusses alle naselang entscheiden mussten, welcher der unzähligen Arme der Hauptarm war. Immer wieder musste man sich entscheiden, immer wieder landete man im stinkenden Schlamm eines toten Arms und musste mühsam zurückpaddeln. Vollkommen verzweifelt traf man dann endlich auf Menschen, die einem sagen konnten, wo es langging. Nur, woher sollte man wissen, dass sie die Wahrheit sagten? Am

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