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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Beckerhoff
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erkältet oder so?«
    »Ach was. Wissen Sie, dass ich seit dem Tod meines Mannes keine Musik mehr gehört habe? Kein Bier, keine Musik, ich frage mich langsam, was ich die letzten zwanzig Jahre überhaupt gemacht habe. Ich habe das Gefühl, wie wenn in den letzten Tagen mehr passiert wäre als in der ganzen Zeit seit seiner Beerdigung. Das kann doch nicht sein.«
    »Wir tun, was wir können«, hörte er Klaus in seinem Rücken.
    »Der Mann mit den Spendierhosen«, lächelte sie.
    »Ute wartet übrigens im Bad, um Ihnen einen frischen Verband zu legen«, sagte Sascha.
    »Das Essen ist auch gleich fertig. Nehmen Sie Bier oder Wein?«
    »Erst einmal gerne ein Gläschen Bier gegen den Durst.«
    Dann stand sie auf mit dieser ihr eigenen geschmeidigen Langsamkeit, als sei sie plötzlich mit sich alleine, wie in Trance. Und wieder wirkte sie wie eine alte Schildkröte.

    Beim Essen fiel Sascha auf, wie müde Frau Ella plötzlich wirkte. Ihre langsamen Bewegungen verloren an Sicherheit. Sie kleckerte, sie überhörte immer mehr Fragen, als habe sie plötzlich ihren Panzer verloren. Nur schien das außer ihm niemand zu bemerken. In den Falten und Furchen auf ihrer Stirn über dem frischen Verband standen Schweißtröpfchen, die sich zu kleinen Rinnsalen zusammenfanden, um gemeinsam einen
    Weg ihr Gesicht hinunter zu suchen. Platz fanden sie nur an der Schläfe neben ihrem gesunden Auge, die andere Seite und der Weg zwischen den Augenbrauen waren komplett vom großzügigen Verband versperrt. Zitternd tupfte sie sich mit der Papierserviette die Wange, starrte den Teller an, als sei das eine Prüfung, die sie bestehen musste. Oder bildete er sich das nur ein? Hatte er nicht genauso mit der Schärfe des Chilis zu kämpfen? Stand ihm der Schweiß nicht auch auf der Stirn?
    »Schmeckt Ihnen mein Chili?«, fragte Klaus.
    »Exzellent!«
    »Ist es Ihnen nicht zu scharf?«, fragte Ute.
    »Ach was«, sagte sie und griff nach ihrem Glas.
    »Na bitte«, rief Klaus. »Ich sag ja, mit Frau Ella kann man nicht nur Ponys stehlen. Da ist zwar Schnee auf dem Dach, aber noch ordentlich Feuer im Ofen!«
    Sie sah von ihrem Teller auf und lächelte, unsicher.
    »Wissen Sie, eigentlich kocht man ja nur scharf, wenn man Angst hat, die Zutaten könnten verdorben sein, also traditionell«, erklärte Klaus mit vollem Mund. »Das ist bei den frischen Zutaten hier natürlich Unsinn. Aber nicht alles, was mal einen Grund hatte, ist ja plötzlich grundlos, nur weil der Grund nicht mehr da ist. Ich meine, natürlich gab es für die meisten Dinge mal eine sinnvolle Erklärung, sie haben sich dann aber sozusagen verselbständigt.«
    »Aha«, sagte Frau Ella.
    »Ja, so ist das. So einfach nur kreativ waren die Menschen nie, hab ich letztens gelesen. Kunst wegen der Kunst war schon immer eher die Ausnahme. Na ja, Hochkultur ist jedenfalls, wenn man aus all den grundlos gewordenen Dingen die auswählt, die auch ohne Grund sinnvoll sind. Das sind dann also eher ästhetische Entscheidungen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Deswegen brauchen wir auch so viel bunte Werbung. Wir kennen das ja gar nicht anders, also wir Wohlstandskinder, aber Sie haben doch bestimmt noch ganz andere Zeiten erlebt.«
    Musste er jetzt wieder damit anfangen? Selbst Klaus musste doch sehen, dass Frau Ella gerade mit anderem beschäftigt war als damit, über ihre Vergangenheit und seine Weitsicht zu philosophieren. Als wollte er als Gegenleistung für seine Investitionen Geschichten von früher hören, den Blick einer erfahrenen Dame auf die Welt von heute. Sicher, er selbst hätte auch gerne mehr über die Frau gewusst, die eine weitere Nacht bei ihm verbringen würde, darüber, was in einem knappen Jahrhundert so alles passiert war, nur konnte man sie dazu doch nicht zwingen.
    »Seien Sie bloß froh«, seufzte sie leise.
    Klaus schenkte ihr nach, zwinkerte ihm zu, als sei er sicher, dass er sie jetzt hatte und es nicht mehr lange dauern würde, bis die große Zeitreise startete. Das ging so nicht. Er musste etwas tun, war aber doch selbst zu neugierig.
    »Das sagt sich so leicht, aber können Sie sich vorstellen, wie schwer das ist, sich zu entscheiden, wenn es überhaupt keine Zwänge mehr gibt? Keine Kirche, keine Väter, keinen Krieg?«, setzte Klaus nach.
    »Was wollen Sie denn nur, mein Junge? Sie haben doch wirklich alles.«
    »Papperlapapp. Passen Sie auf«, kam er jetzt richtig in Fahrt und sah kurz in Richtung Ute. »Zum Beispiel diese Geschichte mit der Steuer. Ute hat mich

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