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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Beckerhoff
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einem Amerikaner vergewaltigt?«, fragte Klaus skeptisch.
    Frau Ella schwieg. Da hatten sie ihr einen schönen Abend beschert, Vergewaltigung zum Nachtisch inklusive.
    »Was sind denn das für Ideen, die Sie da haben?«, fragte sie. »Ich habe ihn geliebt!«
    »Geliebt?«
    »Natürlich, was denken Sie denn?«
    »Wo war denn dann das Problem?«
    »Ja, wie sollte ich ihn denn finden? Einen Amerikaner irgendwo in Deutschland, wenn sie ihn nicht längst versetzt hatten. Und dann habe ich dumme Gans meiner Mutter alles erzählt. Und dann haben sie mein Kind weggemacht, und ich habe Stanislaw geheiratet, wegen der Ehre und diesem ganzen Unsinn, den Sie vermissen. Schwanger geworden bin ich nie wieder.«
    Klaus starrte in sein Bier, als wollte er sich darin verstecken. Schämte er sich dafür, zu weit gebohrt zu haben? Und er selbst? War das gut, dass sie Frau Ella zum Reden gebracht hatten, oder hatten sie sie missbraucht, um eine kleine Geschichte zur Verdauung zu hören? Ganz sicher schämte er sich für sein ganzes verkopftes Philosophieren, als er sah, wie Ute Frau Ellas Hand drückte. Die räusperte sich, nahm einen Schluck Bier.
    »Das Kind, haben sie gesagt, das wird nicht glücklich, ein Teufelskind, haben sie gesagt, die Zeiten sind schwer genug. Dabei war es doch mein Kind, ganz egal, wie es aussah, ob gelb oder grün oder braun. Das habe ich ihnen nie verziehen, nie. Kaum war ich in der Stadt, habe ich mich nicht einmal mehr gemeldet, selbst zur Beerdigung meiner Mutter bin ich nicht hin. Stanislaw wusste ja von nichts. Er dachte, dass das mit dem Kinderkriegen einfach nicht klappte. Ella, hat er immer gesagt, Ella, wir haben doch uns. Ja, so war er. Dreiundsechzig wäre er dieses Jahr geworden, der Junge, mein Junge. Das wäre heute doch gar kein Problem als Schwarzer in Deutschland. Dieser Sänger hat es doch auch geschafft.«
    »Sie meinen, dieser Jason, das war ein Schwarzer?«, fragte Klaus.
    »Schwarz wie die Nacht.«
    »Ein Afroamerikaner«, stellte Ute fest.
    »So war das damals mit dem Heiraten. Können Sie sich vorstellen, dass ich nicht weiß, wann ich das letzte Mal an Jason gedacht habe, bevor Sie mich gefragt haben?«
    »Krass«, seufzte Klaus.
    »Das ist unglaublich«, sagte Ute.
    »Tja, so war das«, sagte Frau Ella mitgenommen und zugleich erleichtert. »Und jetzt würde ich gerne eine Zigarette rauchen. Denn das haben wir damals auch gemacht.«
    »Und dazu einen Bourbon aus Tennessee«, sagte Sascha und hoffte, dass sie ihn richtig verstehen würde. Sie sah ihn an. Ernst, nicht wütend.
    »Sie meinen, er hätte mich gerne mitgenommen nach drüben?«
    »Auf jeden Fall, aber Sie haben es ja selbst gesagt, dass damals alles drüber und drunter ging.«
    »Ja, das ist wohl wahr. Dann will ich mal nicht nein sagen.«
    »Tennessee Whiskey«, hörte er Klaus murmeln. »Es gibt gar keinen Bourbon aus Tennessee.«
    Sascha stand auf, um vier Gläser und den Whiskey zu holen. Seine Knie zitterten. Sein Hemd war komplett durchgeschwitzt. Offensichtlich hatte er den Drink sehr viel nötiger als Frau Ella, der Klaus gerade Feuer gab. Sie rauchte ganz bestimmt nicht wie ein Mädchen vom Lande, eher wie eine Diva, eine amerikanische Schauspielerin aus den Fünfzigern. Warum auch nicht? Wer konnte schon wissen, was gewesen wäre, hätte dieser Jason sich getraut, sie in seinen Beiwagen steigen zu lassen.

    Jetzt hörte er Frau Ella durch die angelehnte Schlafzimmertür schnarchen, und ihr ganz und gar regelmäßiges Schnarchen freute ihn. Es hatte nichts von dem in Film und Fernsehen üblichen, ekelig stockenden, leicht schleimigen Alte-Männer-Schnarchen. Das war eine Damenversion des Pumuckel-Schnarchens, einfach sympathisch und angenehm und natürlich irgendwie lustig. Er kannte Frau Ella jetzt gerade einmal zwei Tage, seit Sonntagnachmittag, zwei Tage, in denen aus dem lästigen Schnarchen ein beruhigendes geworden war. Vielleicht war wirklich etwas dran an seiner Idee, dass er sich an sie gewöhnte, so wie Eltern das Geschrei ihres Babys lieben lernen. Angeblich. Wie wütend er noch gestern auf sie gewesen war! Wie unsicher noch heute beim Abendessen. Nur war sie natürlich kein Baby. Er hatte sie unterschätzt, wie souverän sie mit ihren siebenundachtzig Jahren und mit dieser Situation umging, sich bei Klaus sogar bedankt hatte für all die unverschämten Fragen. Ganz kurz nur hatte es dem die Sprache verschlagen, dann war er schon wieder obenauf und überredete sie, morgen wieder mit dem Cabrio

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