Frau Ella
geheiratet, weil das eine lustige Idee war, dass sie nicht arbeiten muss und ich damit Geld verdiene, nicht viel, aber immerhin. Auch Peanuts kann man essen. Das ist vollkommen beliebig. Wir hätten es genauso gut sein lassen können, Ute hätte weiter gekellnert und ich mehr Steuern gezahlt. Na ja, und früher, bei Ihnen, da gab’s noch richtige Gründe. Schwangerschaft, Familienzusammenführung, Liebe und so weiter.«
»Mann, Klaus, bitte nicht die Platte«, stöhnte Ute.
»Warum denn nicht? Das muss man doch mal so sehen und auch sagen! Das macht zwar alles ordentlich Spaß, aber beliebig ist es trotzdem, irgendwie.«
Sie schwiegen. Klaus musste sich beim Kochen betrunken haben. Anders war diese aufdringliche Küchenpsychologie nicht zu erklären. Warum beleidigte er Ute? Warum ließ er Frau Ella nicht einfach in Ruhe? Er sah zu ihr hinüber, wollte etwas sagen, um den Abend wieder in die Spur zu bringen. Gerade legte sie ihren Löffel mit zitternder Hand auf den Tellerrand, tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. Sie hatte tatsächlich aufgegessen, und das nach den Spargeln zu Mittag. Sie schien nachzudenken, wirkte abwesend, verloren in sich selbst und zugleich hochkonzentriert. Er hätte sie lieber entspannt und fröhlich gesehen.
»Wollen Sie wirklich hören, warum ich geheiratet habe?«, flüsterte sie.
»Klar«, rief Klaus. »Das wäre doch mal ein Anfang!«
»Sie müssen das jetzt wirklich nicht erzählen, wenn Sie nicht wollen«, sagte Ute.
»Jetzt sind die Erinnerungen sowieso wieder da.«
»Jetzt lass sie halt«, sagte Klaus.
»Na dann«, sagte Frau Ella und hüstelte kurz. »Ich habe Sascha ja schon erzählt, wie ich anno vierzig zurück zu meinen Eltern aufs Land bin, nachdem der Herr Karstens mich weggeschickt hat. Da stand ich dann wieder auf den Feldern und habe von dem ganzen Krieg gar nicht viel mitbekommen, nur dass die Männer weg sind und dafür andere kamen, Franzosen, Polen, Ukrainer. Und natürlich die Flugzeuge, die über uns hinweg in Richtung Stadt flogen, und immer mehr Kinder, die aus der Stadt zu uns kamen. Später dann auch die Alten und die Frauen, aber es gab ja genug Platz und Essen. Jedenfalls hat man da an so manches gedacht, aber sicher nicht ans Heiraten. Bis dann der Krieg vorbei war.«
»Und der Russe vor der Tür stand!«, rief Klaus.
»Sei still!«, sagte Ute.
Frau Ella achtete gar nicht auf sie. Fast wirkte es, als erzähle sie die Geschichte sich selbst, als seien sie nur zufällig Zeugen ihrer Erinnerung. Klaus’ Augen leuchteten wie die eines kleinen Jungen, der zum ersten Mal ins Kino durfte.
»Es war im Spätsommer fünfundvierzig. Ich weiß noch genau, wie er plötzlich mitten auf dem Weg stand mit seinem Motorrad mit Beiwagen, in dem aber niemand saß. Natürlich hatte ich Angst, es wurde ja überall erzählt, was wir zu erwarten hatten, wenn alles verlorenging, aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ganz allein einem solchen Kerl gegenüberzustehen. Ich weiß nicht mehr, was ich überhaupt alleine auf den Feldern zu suchen hatte. Damals dachte ich an Schicksal oder etwas Ähnliches. Ein wundervoller Tag war das, mit blauem Himmel und blühenden Sonnenblumenfeldern. Vielleicht war ich einfach spazieren gegangen, weg von den Flüchtlingen, dem Krieg, ins Blaue. Und dann dieser Mann. Ich war zu Tode erschrocken, aber er war freundlich, sprach sogar Deutsch, wenn auch nicht fließend. Ja, er fragte mich alles Mögliche, über den Krieg, was wir uns dabei gedacht hätten, wie es mir ergangen war, lächelte so fröhlich, wenn er immer wieder sagte, dass jetzt alles vorbei sei. Alles vorbei, sagte er immer wieder, und dann wollte er mich küssen.«
Ihr Auge schimmerte feucht. Sie saß kerzengerade da, sah durch sie hindurch in die Vergangenheit.
»Er ist dann wieder weg, und natürlich war ich erleichtert. Auf dem Hof ging es auch so schon drunter und drüber. Man kämpfte sich von einem Tag zum anderen, und dann noch all die Flüchtlinge. Es passierte so viel, dass ich gar nicht mehr daran dachte, bis es eines Tages offensichtlich war.«
»Was denn?«, fragte Klaus, kaum dass sie kurz innehielt.
»Ich war schwanger.«
»Verdammter Russe. Ich hab’s gewusst!«
Frau Ella schwieg und sah Klaus an, als verstünde sie ihn nicht.
»Komm Klaus, es reicht«, sagte Ute.
»Ja, aber welcher Russe denn?«, fragte Frau Ella.
»Na, der mit dem Motorrad!«
»Aber Jason war doch kein Russe. Er kam doch aus Tennessee!«
»Das heißt, Sie wurden von
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