Frau Ella
sie abends um den großen Ofen mit seinen türkis schimmernden Kacheln saßen, der Stall mit den beiden alten Gäulen, zu denen man auch im Winter fliehen konnte, wenn es im Haus zu wild wurde und überall sonst zu kalt war. Seltsam, dachte sie, dass ihre Kindheit anscheinend ausschließlich im Winter stattgefunden hatte. Aber nein, natürlich waren da auch die Sonnenblumenfelder, die staubigen Wege, der Weiher mit dem kleinen Boot, »Willy« stand ausgeblichen auf dem verwitterten Holz. Vielleicht war das gar keine gute Idee, dorthin zurückzukehren und alles ganz anders vorzufinden. Es machte ja fast den Eindruck, als ginge es mit ihr zu Ende, so intensiv wie sie sich mit ihrer Vergangenheit beschäftigte. Aber sie hatte ja nicht selbst damit angefangen, sondern die jungen Leute wollten das alles wissen. Warum auch immer.
»Jetzt noch ein wenig Volumen«, hörte sie ihn sagen. »Dann haben wir’s auch schon geschafft.«
Sie hörte das Gebläse eines Föns, spürte dann die warme Luft auf ihrer Stirn, genoss es, einfach hier zu sein. Anscheinend hatte er den Kamm beiseitegelegt, ging ihr jetzt sanft mit der Hand durchs Haar. Wie würde sie nur aussehen, frisiert von diesem jungen Kerl, der selbst so ungepflegt herumlief. Sie, mit diesem spärlichen Rest von dem auf dem Kopf, was früher einmal ihre blonde Mähne gewesen war. Zum Glück hatte sie das Kopftuch, dachte sie und lächelte. Dann war er mit ihr fertig.
»Wenn Sie einen Blick in den Spiegel werfen wollen«, sagte er.
»Danke«, sagte sie, machte ihr Auge auf und griff nach dem Rand des Waschbeckens, um aufzustehen.
»Verdammt, Frau Ella, noch zwei Tage mit diesem Kerl, und Sie sind reif für den Catwalk«, rief der Dicke ihr von der Küchentür aus entgegen.
»Für den was?«, fragte sie und musste lachen, so begeistert wirkte der schon wieder, kaum dass er sie sah.
»Für Paris, London, New York, die Laufstege der Welt. Vom Heroin zum Seniorin Chique, oder irgendwas in die Richtung.«
»Sie meinen meine neue Frisur?«
»Wenn Ute nicht wäre, würde ich ein paar Wochen an der Côte vorschlagen, oder Venedig. Das hat doch nicht ernsthaft dieser depressive Lumpenbohemien hingekriegt!«
Heute war er wieder gar nicht gut zu verstehen, mit seinen ganzen seltsamen Wörtern, wie er da vor ihr herumhampelte und in seinem Kauderwelsch plapperte.
»Salon Sascha. It’s never too late to look great! Die Lockenwickler-und-Tönungs-Mafia wird ihn hassen, den Mann, der dem Grauen des Grauseins den Garaus bereitete. Ich sag’s ihnen, Grau ist das neue Schwarz, darauf können Sie einen lassen! Das wird ganz groß! Stellen Sie sich das mal vor, wenn die jungen Leute das Grau erst entdecken, die ganzen Produkte, die wir dann auf den Markt werfen. Lesscolour, more life. Momo war gestern, jetzt kommen die grauen Herren, und die sind glücklich.«
»Was hat er denn?«, hörte sie Sascha aus dem Badezimmer fragen. Sie zuckte mit den Schultern, lächelte.
»Irgendetwas ist wohl mit meiner neuen Frisur.«
»Sag mal, Alter, um so Haare grau zu kriegen, ist das ’ne Entfärbung oder ’ne Färbung? Also, ich meine, wenn man jetzt deine Haare entfärbt, werden die so tussimäßig farblos blond oder grau?«
»Keine Ahnung.«
»Scheiß auf keine Ahnung, verdammt. Das ist doch die entscheidende Frage: Ist Grau eine Farbe oder ist Grau farblos? Verliert man also mit den Jahren etwas oder gewinnt man etwas Neues hinzu? Versteht ihr? Das ist nur eine Frage der Positionierung, des emotionalen Mehrwerts.«
»Der Interpretation?«, fragte Sascha.
»Ja, so ähnlich. Die Schwäche wird zur Stärke, und das mit offenem Visier. Die Leute wollen ehrliches Zeug, das heißt eben nicht diese ganze Kacke von wegen Silver-Ager, bunte Verpackung und so. Wenn man Scheiße Scheiße nennen muss, dann muss man Grau auch Grau nennen. Ich meine, was ist denn bitte ein besseres visual der neuen Authentizität, der Abkehr von all den bunten Lügen, wenn nicht so ein verdammt ehrliches Grau auf dem Kopf? Das Ende des virtuellen Wahnsinns! Hundert Prozent Realität!«
»Sag mal, ist Silber eigentlich nur Grau mit Glanz?«, fragte Sascha.
»Kann sein, Mann, wir müssen das alles verdammt noch mal so schnell wie möglich rausfinden, research and development, volle Kraft voraus!«
»Wollen Sie eigentlich einen Kaffee?«, fragte sie, die langsam, aber sicher genug davon hatte, nichts zu verstehen.
»Und ein bisschen durchatmen?«, fragte Sascha und zwinkerte ihr zu.
»Halleluja, ein Kaffee
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