Frau Holle ist tot
wurde gestern in Rüdesheim
geortet«, berichtete Meyer. »Sie oder ihr Entführer hat um die Mittagszeit mit
Annika Möller telefoniert.«
»Fromm ist unser Mann«, entschied Lackauf. »Es wurden
schon Leute aufgrund schwächerer Indizien verurteilt. Wir suchen ihn ab jetzt
nicht mehr als Zeugen, sondern als dringend Tatverdächtigen.«
»Wir sollten dennoch auch in andere Richtungen
weiterermitteln«, widersprach Mayfeld, »selbst wenn die Indizien gegen Fromm
sprechen. Er hat kein überzeugendes Motiv. Vielleicht findet sich bei Klaus
Mertens ein Motiv. Ich habe mir die Aufzeichnungen Hollers zu Annika Möller und
Marie Lachner angehört. Beide Mädchen sprachen voller Abscheu von ihrem
Pflegevater. Die eine ist verschwunden, die zweite hat einen Selbstmordversuch
gemacht, ihr Bruder und ihre Therapeutin wurden ermordet.«
Mayfeld spürte selbst, wie vage es war, was er da
vorbrachte.
Der Staatsanwalt wandte sich Mayfeld zu, seine Stimme
hatte jetzt einen schneidenden Klang, der Blick war eisig.
»Es reicht, Mayfeld. Der Herr des Verfahrens bin ich.
Die verbleibenden Unklarheiten und das Motiv für die Taten werden wir klären,
wenn wir Sebastian Fromm haben. Das wird nicht lange dauern. Ich erwarte von
Ihnen einen Zwischenbericht, er sollte bis heute Mittag in meiner Mailbox liegen.
Es wird Ihr letzter Bericht in diesem Fall sein. Ich kann mit Ihnen nicht mehr
vertrauensvoll zusammenarbeiten. Ich werde dafür sorgen, dass der
Polizeipräsident Ihnen den Fall entzieht.«
Der Staatsanwalt stand auf. Als er an Mayfeld
vorbeiging, beugte er sich zu ihm hinunter.
»Leute wie Sie gehören aus dem Polizeidienst entfernt.
Ich hoffe, das Disziplinarverfahren wegen Ihrer Renitenz in Stuttgart bricht
Ihnen das Genick«, zischte er und verließ die Runde. »Ich möchte Sie noch
sprechen, Burkhard«, sagte er im Hinausgehen.
***
Marie saß hinter Basti auf dem Quad. Während er
die einzelnen Wegmarken wieder wie auf einer Busfahrt ansagte, dachte sie an
die vergangenen Stunden.
»Kasimirkreuz!«
Es war eine fürchterliche Nacht gewesen. Marie wollte
so etwas nicht noch einmal erleben. Basti hatte versprochen, mit ihr zum
Kloster Eberbach zu fahren, war dann aber doch in das stinkende Loch im Wald
zurückgekehrt. Sie hätte davonlaufen können, hatte sich das aber nicht getraut.
Wenn sie floh, musste sie sicher sein, Erfolg zu haben.
»Kreistanne!«
Also war sie mit in die Ruine gegangen, wo Basti sie
mit dem widerlichen Presskopf fütterte. Sie hatte es nicht gewagt, den Dreck
wieder rauszukotzen. Als draußen Stimmen zu hören waren, hatte er ihr mit
seinen Riesenpranken den Mund zugehalten. Sie hatte Angst gehabt, dass er ihr
die Luft abdrücken würde. Anschließend hatte es ihm leidgetan, denn er bettelte
immer wieder »nicht weinen, nicht weinen«.
»Frankensteiner Rech!«
In der Nacht hatte sie unruhig geschlafen, sie hatte
von einem Sarg geträumt, in dem sie durch den Wald getragen wurde, und von
einem Teufel, der sie aufspießen wollte. Einmal war sie aufgewacht, und Basti
war verschwunden und die Tür abgesperrt gewesen. Am liebsten hätte sie
losgeschrien. Aber sie hatte es bleiben lassen. Der Einzige, der ihre Schreie
eventuell hätte hören können, wäre Basti gewesen.
»Unkenbaum!«
Irgendwann am frühen Morgen war er wiedergekommen. Sie
hatte sich schlafend gestellt. An diesem Morgen hatte sie ihn gefragt, wann sie
denn nun zum Kloster fahren würden, und er hatte zu ihrer Überraschung
vorgeschlagen, dass sie das gleich nach dem Frühstück tun könnten. Das wäre der
richtige Zeitpunkt.
»Heiligenberg!«
Und nun fuhren sie durch den Wald. Wieder war es ein
sonniger Tag, der Wald leuchtete in warmen Herbstfarben, aber Marie konnte sich
nicht daran erfreuen. Sie hatte die Zeit mit Basti gründlich satt. Der Rücken
tat ihr weh, und sie stank. Schlimmer als das Zusammensein mit Basti wäre
eigentlich nur, zu ihren sogenannten Eltern zurückzumüssen.
Der Weg führte jetzt abwärts in ein Tal. Zwischen dem
Laub der Bäume sah sie eine Mauer, die kurz danach wieder von Bäumen verdeckt
wurde, dann wieder auftauchte.
»Kloster Eberbach!«
Nach der nächsten Kurve erkannte sie das Kloster. Sie
hatten ihr Ziel erreicht. Das erste Etappenziel für Marie.
Basti stellte das Quad auf dem Parkplatz am
Pfortenhaus ab. Sie gingen durch das Portal und überquerten den weitläufigen
Park. Marie hatte im vergangenen Jahr zusammen mit ihrer Schulklasse an einer
Führung durch das Kloster teilgenommen und
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