Frau Holle ist tot
Schoß. Das war nicht leicht, denn der Mann war schon etwas steif, und
Basti musste ihn zurechtbiegen, damit er in die richtige Position kam. Dann
rieb er ihm die Arme immer und immer wieder. Aber nichts passierte.
Als auch das nichts helfen wollte,
fiel ihm ein, »wenn zwei zusammen im Bett liegen, so wärmen sie sich«, brachte
ihn ins Bett, deckte ihn zu und legte sich neben ihn.
In einer Ecke des Raumes lagen ein paar Wolldecken.
Die legte er aufeinander und bettete den Mann bequem obendrauf. Eine Wolldecke
hatte er zurückbehalten, und mit der deckte er den Mann zu, bevor er sich neben
ihn legte. Jetzt musste er einfach warten.
Über ein Weilchen ward auch der
Tote warm und fing an sich zu regen. Da sprach der Junge »siehst du,
Vetterchen, hätt ich dich nicht gewärmt!« Der Tote aber hub an und rief »jetzt
will ich dich erwürgen.« Da trat ein Mann herein, der war größer als alle
anderen, und sah fürchterlich aus; er war aber alt und hatte einen langen
weißen Bart. »O du Wicht«, rief er, »nun sollst du bald lernen, was
Gruseln ist, denn du sollst sterben.« – »Nicht so schnell«, antwortete der
Junge, »soll ich sterben, so muss ich auch dabei sein.«
Der Kampf zwischen Basti und dem Alten dauerte lange.
Immer wieder kamen aus allen Ecken und Enden schwarze Katzen
und schwarze Hunde an glühenden Ketten dem Alten zu Hilfe, einmal kam mit lautem Geschrei ein halber Mensch den Schornstein herab
und fiel vor ihm hin. Als es aber zwölf schlug, war alles vor seinen Augen
verschwunden .
Irgendwann wachte Basti frierend wieder auf. War alles
nur ein Traum gewesen? Im Kamin glimmte noch Glut, und der Mann neben ihm
rührte sich nicht. Draußen wurde es hell, das erste Morgenlicht drang durch die
Fenster in den Raum.
Er wartete noch eine Weile. Doch der König kam nicht.
Enttäuscht stand er auf und brachte alles wieder an seinen Platz.
Samstag, 29. Oktober
Ein neuer Tag hatte begonnen, und wieder war es
ein goldener Oktobertag. So als ob sich die Sonne für ihr spärliches Erscheinen
während der Sommermonate entschuldigen wollte, schien sie nun schon seit Wochen
und tauchte auch an diesem Morgen das Rheintal in ihr mildes Licht.
Julia und Mayfeld hatten sich nach dem Frühstück auf
den Balkon gewagt, sich in wärmende Decken gehüllt und tranken einen Cappuccino
in der Oktobersonne. Die Situation war perfekt. Es war eine innige Nacht
gewesen und ein zärtlicher Morgen, und sie hatten noch eine Stunde Zeit, bis
Julia wieder nach Kiedrich musste. Tobias und Lisa waren außer Haus. Dennoch
fühlte sich Mayfeld beunruhigt und unwohl.
»Die Woche in der Straußwirtschaft war ein voller
Erfolg.« Julia lehnte sich zufrieden auf ihrem Stuhl zurück. »Viele Gäste haben
gefragt, warum wir nicht länger aufhaben. Und ich frage mich das auch.«
»Dein Beruf, die Vorschriften über Straußwirtschaften,
das sind Antworten auf die Frage.«
»Mit einer Stundenreduktion im Krankenhaus und der
Hilfe von Elly und Hilde müsste es zu schaffen sein. Es reicht, wenn ich die
Hälfte der Woche in der Küche stehe.«
»Dann sehen wir uns noch seltener«, protestierte
Mayfeld. »Koch doch stattdessen öfter für mich.«
Julia warf ihm einen Blick zu, als ob sie sich nicht
zwischen Belustigung und Ärger entscheiden könnte.
»Egoist!«, schimpfte sie mit einem Lächeln.
»Oder du schreibst das Kochbuch, das dir schon lange
vorschwebt. Wie soll das noch mal heißen?«
»›Kochen im Weingut – Landküche rund um den Wein‹. Das
verkauft sich bestimmt besser, wenn ein Gutsausschank dahintersteht. Wenn die
Weinberge von Onkel Theo im nächsten Jahr dazukommen, sind neue
Vermarktungsideen nicht verkehrt.«
»Das wäre eher ein Argument dafür, sich weniger Arbeit
aufzuhalsen. Franz ist jetzt schon oft in Lorch und Assmannshausen, wenn er
dort noch mehr zu tun bekommt, muss Elly Arbeiten in Kiedrich übernehmen.«
»Dann musst du dich halt mehr engagieren. Füllt dich
die Polizeiarbeit noch aus? Gefällt es dir im Weingut nicht besser?«
Seit er nahezu wöchentlich mit dem Staatsanwalt
zusammenstieß, überlegte sich Mayfeld das immer öfter. Doch für Lackauf wäre
sein Rückzug ein Triumph.
»Ich kann die Kollegen nicht im Stich lassen«,
antwortete er, war sich aber unsicher, ob so viel heldenhafte Aufopferung
tatsächlich angebracht war.
»Wie heldenhaft von dir«, bemerkte seine Frau.
Mayfeld dachte darüber nach, wie viele Jahre er mit
Julia verheiratet war. Manchmal verstanden sie sich ohne
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