Frau Holle ist tot
Die
Musik sei zu sanft für die Märchen, die sie ausgesucht habe. In denen gehe es
um Mord, Eifersucht und Inzest.«
»Sie wollte die Zusammenarbeit mit Ihnen also
aufkündigen.«
»Darauf wäre es hinausgelaufen, ja. Aber mit unserer
persönlichen Beziehung hatte das nichts zu tun.«
»Das kann ich glauben oder auch bleiben lassen.«
»Und natürlich glauben Sie es nicht«, meinte Weisz
bitter. »Vielleicht überlegen Sie sich mal, dass mir die Sache fürchterlich an
die Nieren geht, für mich ist das nicht einfach ein Kriminalfall wie für Sie.
Meine Partnerin ist tot. Mir geht es beschissen. Ich muss trotzdem
weitermachen, obwohl ich völlig fertig bin. Und dann kommen Sie und
verdächtigen mich!«
»Reden Sie sich bitte nicht ein, ich sei gegen Sie
voreingenommen. Ich muss nur jeder Spur nachgehen, das ist mein Job und nicht
persönlich gemeint.« Weisz hatte es geschafft, dass er sich rechtfertigte,
stellte Mayfeld verärgert fest.
»Es ist mir egal, ob Sie Ihre Verdächtigungen
persönlich meinen oder nicht. Ich finde sie zum Kotzen. Ist es von einem
Kriminalkommissar zu viel verlangt, das zu verstehen?«
Das verstand Mayfeld sehr wohl, änderte aber nichts an
seinem Job. Er musste Weisz aus seiner weinerlichen Verteidigungshaltung
herausbekommen, sonst erfuhr er von ihm nichts mehr, was ihn weiterbrachte.
Deswegen schlug er einen versöhnlicheren Ton an.
»Ich nehme an, Sie haben ein Interesse daran, dass wir
die Person finden, die Ihrer Freundin und Ihnen das angetan hat. Deswegen
überlegen Sie genau: Ist Ihnen noch etwas zu Ihrem letzten Gespräch mit Sylvia
Holler eingefallen? Auch wenn für Sie die Auseinandersetzung über das nächste
Programm das Wichtigste gewesen ist, auch wenn Sie sich momentan vor allem
damit beschäftigen, dass Ihre letzten Worte mit der Freundin im Streit gefallen
sind, kann es sein, dass Sie irgendetwas für Sie persönlich völlig
Unbedeutendes mitbekommen haben, das unsere Ermittlungen weiterbringt.«
Weisz schien jetzt ernsthaft nachzudenken.
»Ich hatte den Eindruck, dass unser ganzes letztes
Treffen unter einem unglücklichen Stern stand. Sylvia war von Anfang an
schlecht gelaunt. Da war die Sache mit dem Programm noch gar nicht zur Sprache
gekommen. Ich glaube, es hatte mit einem Telefonat zu tun, das sie führte, als
ich vorbeikam.«
»Warum glauben Sie das?«
»Sie schaute so aus.«
Das war leider sehr vage. Es konnte ein
Ablenkungsmanöver von Weisz sein. Oder eine neue Spur.
»Worum ging es bei dem Telefonat?«
»Ich vermute, um etwas Berufliches. Sie ist zum
Telefonieren in die Praxis gegangen. Das machte sie immer, wenn andere den
Inhalt eines Telefonates nicht mitbekommen sollten. Meist ging es dann um Patienten.
Sie hat es mit dem Datenschutz sehr genau genommen.«
»Und haben Sie etwas mitbekommen von dem Telefonat,
bevor Dr. Holler in der Praxis verschwunden ist?«
»Sie sagte, dass sie nicht am Telefon reden wollte.
Ich hatte den Eindruck, dass es um einen schwierigen Patienten ging.«
»Wie kamen Sie zu dem Eindruck?«
»Intuition.«
Mayfeld atmete laut hörbar aus.
»Sie schaute so aus. Intuition«, wiederholte er die
Worte von Weisz. Etwas präziser hätte er die Zeugenaussage schon gern gehabt.
Er fragte weiter. Ob Weisz sonst noch etwas
aufgefallen sei in den drei Stunden, die er bei Holler gewesen war, Telefonate,
Bemerkungen, was auch immer. Aber Weisz fiel genauso wenig ein wie bei seiner
Vernehmung am Montag.
»Wären Sie mit einer Speichelprobe zur DNA -Bestimmung einverstanden?«, fragte Mayfeld.
»Sie verdächtigen mich also doch«, antwortete Weisz
empört. »Was soll dabei herauskommen? Sie wissen doch, dass ich oft bei Sylvia
war.«
Mayfeld dachte an die Hautpartikel unter den
Fingernägeln des Opfers. »Wenn wir Spuren bekannten Personen zuordnen können,
müssen wir nicht weiter versuchen, sie zu identifizieren. Das erleichtert uns
die Arbeit«, sagte er. »Es wäre selbstverständlich freiwillig.«
Weisz wollte sich das überlegen.
Ein Anruf von Meyer beendete das Gespräch. Sie hatten
Kevin Möller gefunden.
Vom Schloss Freudenberg waren es nur wenige
Minuten Fahrzeit bis zum Rotkäppchenweg. Kevin Möller wohnte in einem
Mehrfamilienhaus aus den siebziger Jahren. Mayfeld parkte direkt davor und
entdeckte Burkhard, der neben einem mit Heckspoiler, Alufelgen und
Rallyestreifen aufgemotzten VW Golf älterer
Bauart stand.
»Der Vogel scheint im Nest zu sein«, begrüßte ihn der
Kollege und deutete mit dem Kinn auf
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