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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Stark
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das
überhaupt wollte. Oder wie sie Annika alles erklären konnte. Und ob sie das
wollte.
    ***
    Über dem Eingangstor hing ein tiefblaues
Transparent mit der goldenen Aufschrift » SALVE «.
Mayfeld betrat die verwitterte Eingangshalle des Schlosses. Hinter einem
knallroten Tresen aus Sperrholz flackerte Feuer in einem alten, von
Marmorsäulen umfassten offenen Kamin. Neben dem Kamin lag ein Stapel Brennholz,
und neben diesem Stapel lag Bobby, der Bobtail von Weisz.
    Der Kommissar wandte sich an die Frau an der Kasse,
eine Mittfünfzigerin mit kurzen grauen Haaren, die über ihren schwarzen Jeans
einen schwarzen Pulli trug. Ihr neugieriger und offener Blick verwandelte sich
für einen kurzen Moment in skeptische Distanz, als Mayfeld ihr seinen
Dienstausweis zeigte. Dann erklärte sie ihm den Weg in die untere Etage, wo
sich der Hauptteil der Ausstellung befinde: Erfahrungsfeld der Sinne im Schloss
Freudenberg.
    »Sandor hat eine Gruppe im ›Raum der Resonanz‹.« Die
Frau schaute auf ihre Armbanduhr. »Das dauert noch eine Viertelstunde. Sie
können sich also Zeit lassen. Nehmen Sie alle Eindrücke mit, die sich Ihnen
bieten«, sagte sie in einer unerwarteten Anwandlung von Fürsorglichkeit.
    Er ging zu einer Treppe, die ins Souterrain des
Schlosses führte. »Wunderliches Wort: die Zeit vertreiben.
Sie zu halten, wäre das Problem« , las er auf einer Tür neben der Treppe
und stimmte Rilke innerlich zu.
    Unten führten düstere Gänge aus unverputzten
Backsteinmauern in Räume, in denen Klangkörper und Lichtinstallationen die
Sinne der Besucher sensibilisieren sollten.
    Man konnte Klangstäbe, die mit langen Fäden an offenen
Trommeln aufgehängt waren, mit einem Hammer in Schwingung versetzen und diese
Schwingungen am ganzen Körper spüren, dabei die Schatten der pendelnden Stäbe
verfolgen. Man konnte Glühbirnen durch verkleisterte Scheiben betrachten. Je
stärker verkleistert die Glasscheiben waren, desto rötlicher schien das Licht
durch sie hindurch. Man konnte in irdenen Krügen Gegenstände und Texturen
ertasten, Korken von Kronkorken und Bindfäden von Paketschnüren unterscheiden
lernen, ohne seine Augen zu bemühen. Und zwischen den einzelnen Installationen
bekam der Besucher die eine oder andere auf Schiefertafeln aufgeschriebene
Lebensweisheit nahegebracht.
    »Der Seiltänzer benutzt die Kräfte,
die ihn in den Abgrund ziehen wollen, um im Gleichgewicht zu bleiben und
vorwärtszuschreiten« , gefiel ihm am besten.
    Der »Raum der Resonanz« wurde von drei großen
Rundbögen an der Vorder- und Rückseite begrenzt, in die Glastüren eingelassen
worden waren. Die Wände waren unverputzt und mit groben Backsteinen gemauert,
der Boden bestand aus Holzdielen. Ungefähr zwei Dutzend Gongs unterschiedlicher
Größe – der kleinste klein wie eine Kinderpizza, der größte groß wie der Reifen
eines Riesentrucks – hingen an Gestängen und bildeten einen äußeren Kreis.
Ungefähr dreißig Menschen jeden Alters – die Schuhe hatten sie wie in einer
Moschee am Eingang ausgezogen und fein säuberlich nebeneinandergereiht – lagen,
die Füße nach innen, die Köpfe nach außen, auf dem Rücken und bildeten den
inneren Kreis. Im Zentrum stand eine mit Wasser gefüllte Klangschale.
    Sandor Weisz schritt von einem Gong zum anderen,
beugte sich langsam zum Boden, ergriff den dort liegenden Klöppel, richtete
sich auf und schlug auf den Gong. Manchmal fest, meist zart und die Schläge
schnell wiederholend, mit dem Klöppel vom Zentrum des Gongs in die Peripherie
oder umgekehrt von der Peripherie des Gongs ins Zentrum vordringend. Mal hielt
Weisz während seines Vortrags die flache Hand auf die Stirn, mal drückte er sie
in die Magengrube. Richtig verstehen konnte Mayfeld nicht, was er sagte. Der
»Raum der Resonanz« war recht gut schallisoliert.
    Nach einer Weile war die Vorführung, oder wie immer
man diese Art von Veranstaltung nannte, zu Ende. Die Teilnehmer standen auf,
zogen sich die Schuhe an und verließen den Raum.
    »Sie sind bestimmt nicht gekommen, um Neues über die
Schwingungen der Welt und die Resonanzen Ihres Körpers zu erfahren«, begrüßte
Weisz den Kommissar.
    »Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?«,
erwiderte Mayfeld.
    Weisz öffnete eine der Türen, die nach draußen ins
Freie führte. Sie stiegen eine Sandsteintreppe nach oben auf die Terrasse des
Schlosses und setzten sich unter einen Sonnenschirm. Weisz fragte nach Mayfelds
Wünschen, verschwand kurz und kam mit einem

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