Frau Paula Trousseau
darin bestand ihre Liebe. Wenn ich meinen Eltern heute sagen würde, dass sie mich nie geliebt haben, nie, sie wären vermutlich hell empört.«
»Hast du darum deine Tochter hergegeben?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht. Ich habe sie aber nicht hergegeben, Cordula wurde mir weggenommen. Heute ist sie vier Jahre alt, ganz genau vier Jahre, drei Monate und sieben Tage, und seit fünfzehn Monaten habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich habe eine Tochter, die ich nicht kenne.«
»Damals hast du mir erzählt, du hättest auf sie verzichtet. Dass du nicht um sie kämpfen wolltest, weil es seine Tochter sei und nicht deine.«
»Habe ich das gesagt? Ich weiß nicht, ob das stimmt, ich kann es dir nicht sagen. Ich verstehe mich selber nicht. Wechseln wir das Thema, einverstanden?«
»Lass uns zurückfahren. Hoffentlich finden wir unsere Fahrräder wieder.«
Daheim gab Sibylle mir eine Schürze, und dann legten wir in der Küche los, als ob wir eine Festgesellschaft zu verköstigen hätten. Wir redeten ununterbrochen und vermieden, irgendeins der heiklen Themen anzusprechen. So, wie sie am Küchentisch stand, das Gemüse zerkleinerte, die Zwiebeln hackte und den Fisch filetierte, schien Sibylle eine glückliche und mit sich selbst zufriedene Frau zu sein. Ihren Beruf hatte sie aufgegeben und kümmerte sich nun um ihren Mann und die beiden Häuser, aber sie vermisste offensichtlich nichts. Von ihrem Pariani sprach sie spöttisch, aber liebevoll und geradezu zärtlich. Sieverstand mich überhaupt nicht, als ich ihr andeutete, dass ich Waldschmidt verlassen wollte, doch quietschte sie gleich wieder vor Vergnügen, als ich ihr von Bertholdt und Lieblich erzählte.
Und ich war meilenweit von dieser Ruhe entfernt. Ich hatte erreicht, was ich wollte, ich hatte mich durchgesetzt und das studiert, was ich studieren wollte. Ich hatte die Studienjahre gut überstanden und würde in ein paar Wochen mein Diplom in den Händen halten, ich war jetzt, was ich seit Kindertagen werden wollte, eine Malerin. Und Sibylle war nur eine Hausfrau, die den ganzen Tag über nichts tat oder Dinge, die mich wahnsinnig gemacht hätten, doch sie lebte im Unterschied zu mir ihr Leben. Ich beneidete sie.
Als wir in der Küche fertig waren, brachten wir die Schüsseln ins Wohnzimmer, Sibylle holte aus dem Keller eine Flasche Weißwein, dann aßen wir. Vier Stunden später hatten wir zwei Flaschen Wein getrunken und die Hälfte des Essens vertilgt, was uns beiden zuvor völlig unmöglich erschienen war. Gegen Mitternacht räumten wir gemeinsam den Tisch ab und brachten die Küche in Ordnung.
Es gab einen Moment, in dem Sibylle nicht mehr so ausgelassen war. Als wir das Geschirr in den Schrank geräumt hatten und sie in der Küche das Licht gelöscht hatte, standen wir unbeholfen im unteren Flur des Hauses. Keine von uns brachte ein Wort hervor, jede erwartet wohl, dass die andere etwas sagt. Dann streichelte mir Sibylle mit den Fingern über den Arm, wünschte mir eine gute Nacht und verschwand in ihrem Zimmer. Ich nahm die Treppe nach oben, sehr erleichtert und etwas enttäuscht.
14.
Am nächsten Morgen, ich war erst sehr spät aufgewacht, was an der Seeluft und dem für mich ungewohnten Spaziergang lag, stand Sibylle bereits in der Küche, als ich völlig verschlafen und ungewaschen bei ihr erschien. Sie meinte, ich solle gleich bleiben und mit ihr frühstücken, und so setzte ich mich ungekämmt und im Bademantel an den gedeckten Küchentisch. Obwohl wir am Abend überreichlich gegessen hatten, besaßen wir schon wieder Appetit. Wir saßen über zwei Stunden zusammen und redeten über die gemeinsamen Bekannten, über die Freunde von unseren Abendgesellschaften. Ich lernte Sibylle dabei von einer ganz anderen Seite kennen, denn sie konnte sehr scharfzüngig und sogar leicht boshaft sein, was ich bei ihr nie vermutet hätte.
Danach zog ich mich an und wir fuhren mit dem Auto nach Dewichow, wo seit zehn Jahren zwei Freunde von ihr lebten, ein Bauer mit seiner Frau, der zur gleichen Zeit wie sie in Weimar studiert hatte, aber zwei Jahre nach Studienende den Beruf aufgegeben hatte, um natürlicher zu leben, wie er sagte. Ich befürchtete, zwei verstiegene Naturschützer anzutreffen, doch das Ehepaar war sehr angenehm.
Fred, der frühere Kommilitone von Sibylle, zeigte uns sein Haus, seine Stallungen und die Tiere, er besaß zwei Pferde, mehrere Schweine, drei Schafe, eine Ziege und sehr viele Hühner und Puten. Er und seine Frau Helene hatten den ganzen
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