Frau Paula Trousseau
durch, Sibylle, um mich musst du dir keine Gedanken machen.«
»Ich mache mir aber Gedanken, das kannst du mir nicht verbieten, Paula. Für Waldschmidt wird es ein Schock sein, wenn du gehst. Ich glaube nämlich, er liebt dich.«
»Glaube ich nicht. Er liebt nur sich.«
»Und du?«
»Was meinst du? Ob ich ihn liebe? Ob auch ich nur mich selbst liebe?«
Sibylle antwortete nicht auf meine Frage. Sie füllte die Gläser und ging zum Kamin, um Holz nachzulegen.
»Jeder liebt zuallererst sich selbst«, sagte ich, »oder hasst zuallererst sich selbst, was irgendwo das Gleiche ist. Ja, ich denke zuerst an mich. Ich habe nur bekommen, was ich mir erkämpfte. Geschenkt hat mir niemand etwas. Und Waldschmidt wird es überleben. Er wird sich eine seiner neuen Studentinnen nehmen, da hat er reichlich Auswahl.«
Sibylle sah mich an, ich hätte liebend gern gewusst, was sie in dem Augenblick dachte, doch ich fragte nichtund sagte nichts. Minutenlang schauten wir dann schweigend in das Kaminfeuer. Es war beruhigend, es war ein schönes Schauspiel, die Flammen tänzeln und die Scheite umzüngeln zu sehen, als seien sie dem kräftigem Holz zärtlich zugetan, in Liebe verfallen, unfähig, sich von ihm zu lösen. Es hat etwas Erotisches, dachte ich, es ist wie ein Liebesspiel. Erglüht und entflammt.
»Und zurück bleibt Asche«, sagte ich.
Sibylle sah mich überrascht an. Dann wurde ihr schönes Gesicht wieder ernst und sie blickte mir forschend in die Augen. Verlegen sagte ich, sie möge mich bitte nicht anstarren. Sie beugte sich zu mir und küsste mich lange, ich schloss die Augen und ließ es geschehen, öffnete die Augen auch nicht, als sie mich losließ. Es war schön, von ihr geküsst zu werden. Die fünf Scheite waren mittlerweile in sich zusammengefallen, und das Feuer loderte heftig. Sibylle teilte den Rest des Weins auf unsere Gläser auf, wir tranken den kleinen Schluck und gingen ins Bett. In ihr Bett.
Am nächsten Morgen wurden wir schon vor sechs Uhr wach. Wir fühlten uns beide ausgeschlafen, blieben aber noch bis neun Uhr im Bett liegen, um miteinander zu schwatzen. Manchmal küssten und streichelten wir uns, ich spürte, wie sie mich begehrte, und war ganz ruhig. Es gefiel mir, sie zu berühren, und es gefiel mir, wie sie es genießen konnte, von mir gestreichelt zu werden. Aber vor allem redeten wir. Nach dem Frühstück brachte mich Sibylle an die Bahn. Auf dem Bahnsteig gab sie mir zum Abschied nur die Hand, vielleicht befürchtete sie, Bekannte könnten sie bei einer zärtlichen Geste sehen. Ich stellte meine Tasche auf den Bahnsteig, zog Sibylle mit beiden Armen an mich und küsste sie leidenschaftlich.
15.
Vier Tage später hatte ich die schriftliche Philosophieprüfung. Ich hatte mich entsprechend den Hinweisen von Waldschmidt vorbereitet und gab sechs vollgeschriebene Seiten ab, aber da ich in diesem Fach nie eine bessere Note als eine Vier erhalten hatte, erwartete ich kein Wunder. Ich wollte die Prüfung bestehen und das Diplom bekommen. Ende Juni erhielten wir die Prüfungsergebnisse. Ich war die einzige Studentin in der Malklasse, die man nicht für ein Förderstipendium vorschlug. Im Hauptfach wie im Fach Philosophie wurden mir Formalismus und Kosmopolitismus vorgehalten, das Diplom jedoch bekam ich, wenn auch mit der schlechtesten Note von allen.
Waldschmidt berichtete mir, dass Lieblich im Kollegium dafür plädiert habe, mir das Diplom zu verweigern, aber die anderen Kollegen hätten dem nicht zugestimmt. Bei dieser Auseinandersetzung wäre es allerdings nicht um mich gegangen, sondern um ihn, Lieblich hätte nur seine bis zum Erbrechen bekannten Attacken gegen ihn fortsetzen wollen, was den anderen aber nach dem Bertholdt-Skandal zu weit gegangen sei. Ich hätte nochmals davon profitiert, dass ich mit ihm zusammenlebe, denn nur um einen weiteren Angriff auf ihn selbst abzuwehren, hätte sich die überwiegende Mehrzahl der Kollegen für mein Diplom ausgesprochen.
Am Abend feierte mein Studienjahrgang im Café Nord, einer Tanzbar. Ich entschuldigte mich, ich sagte, ich sei mit Waldschmidt verabredet. Zu Waldschmidt sagte ich gar nichts. Als ich am frühen Abend das Haus verließ, musste er annehmen, ich sei mit den Kommilitonen zusammen, stattdessen fuhr ich zu Katharina.
Ich hatte Kathi noch von der Hochschule ausangerufen. Als sie sich meldete, fragte sie mich gleich, was denn passiert sei.
»Ich habe eben mein Diplom bekommen. Ich habe es endlich überstanden, Kathi.«
»Gratuliere,
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