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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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hatte, musste ich bezahlen. Es tat mir leid, dass ich ihn verwirrt hatte, aber wenn Veit etwas unbedingt benötigte, dann war es eine aufwühlende, verstörende Erfahrung. Er sollte wenigstens einmal in seinem Leben etwas durcheinanderkommen, und dafür war ich genau die richtige Person. Er sollte mir dankbar sein.
13.
    An meinem ersten großen Ölbild arbeitete ich über einen Monat. Ich hätte Tag und Nacht daran gearbeitet, wenn mich nicht die anderen Lehrveranstaltungen, die Vorlesungen, Seminare und Übungen, davon abgehalten hätten. Bei diesem Bild spürte ich wieder den Rausch des Malens, diesen Sog, den eine entstehende Arbeit in den glücklichsten Momenten bei mir auslösen konnte. Das waren die schönsten Stunden meiner Kindheit, wenn ich mit meinem Farbkasten aus dem Haus lief und über die Köhlerwiese zum Wald rannte. Ich legte dann den Block auf eine der alten Parkbänke, kniete mich davor und begann daraufloszumalen. Alles um mich herum versank,ich vergaß die Familie, die Schule, jeden Ärger. Ich malte und war glücklich. Ich vergaß die Zeit, ich spürte nichts von dem harten und kalten Erdboden, auf dem ich kniete, ich war in meiner Welt und alles war gut. Wenn ich fertig war und aufstand, musste ich die Beine massieren, sie waren eingeschlafen und schmerzten, weil ich so lange Zeit gekniet hatte. Und wenn ich dann nach zwei oder drei Stunden wieder daheim erschien, störte mich nichts mehr. Selbst wenn Mutter schimpfte und Vater mir drohte, ich war ganz ruhig, sogar heiter und glücklich. Die Bilder habe ich meinen Eltern nie gezeigt, auch nicht meiner Schwester, ich malte sie nur für mich. Auch später erlebte ich manchmal diesen Sog, er kam immer ganz unvermittelt. Ich fing mit einem Bild an, und wenn es mir lange Zeit Schwierigkeiten machte und ich dann plötzlich die Lösung fand, wenn ich nach Stunden oder auch nach Tagen den Fehler entdeckte und einen neuen Weg sah, dann konnte es immer wieder passieren, dass ich alles um mich herum vergaß.
    In den ersten zwei Jahren der Hochschule war es nie dazu gekommen. Wir mussten über unsere Arbeiten reden, auch über jene, die noch nicht fertig waren. Ich hasste es, wenn der Professor zu mir kam und ich ihm eine kaum begonnene Skizze erklären sollte, ein Bild, das ich selber noch nicht kannte. Und wenn ich dann ein paar unbeholfene Worte gesagt hatte und er zur nächsten Staffelei gegangen war, erschien mir meine angefangene Arbeit langweilig und dumm. Ich hatte meine Arbeit zerredet, ich hatte das, was mich an der Aufgabe reizte, in Worte zu fassen versucht und damit den Stachel dieser Arbeit zerstört. Es dauerte Stunden, ehe ich wieder einen Zugang fand, und manchmal konnte ich das Blatt für immer weglegen. Ich kann über meine Arbeiten nicht reden, ich konnte es nie, und wenn jemand vor mir über meineBilder spricht, höre ich fassungslos zu, ich begreife nichts davon. Es ist sicher nicht falsch, was diese Leute sagen, aber es sind stets abstrakte Theorien. Ich höre ihnen zu, weil ich unfähig bin, auch nur drei zusammenhängende Sätze über ein Bild von mir zu sagen, zugleich könnte ich keinen einzigen Strich machen mit diesen Gedanken und Sätzen im Kopf.
    Die Kunstgeschichte und mehr noch die Philosophie jedoch faszinierten mich. Ich diskutierte mit den Dozenten, ich las, was Philosophen über die Kunst und Malerei geschrieben hatten, und glaubte, mit diesen Kenntnissen besser zu verstehen, was Kunst sei und was einen Künstler ausmache. Ich war damals der Meinung, diese Gedanken würden mich befähigen, über das Handwerk hinauszukommen und zur Wahrheit der Kunst vorzudringen, zu ihrem Geheimnis. Ich war überzeugt, die Philosophie sei der Schlüssel, um mir das Unsagbare der Kunst aufzuschließen, um mir die Aura eines Bildes zu erklären, all das, was der Betrachter sah und vielleicht fühlte, aber nicht mit Worten beschreiben konnte. Alles, was ich las, war klug und richtig, ich unterstrich fast jeden zweiten Satz und schrieb mir aus den geliehenen Büchern ganze Seiten ab. Irgendwo fand ich die Formulierung »hinter das Bild kommen« und schrieb mir diese Worte auf ein Blatt, das ich an die Wand neben meinen Flurspiegel heftete. Hinter das Bild kommen, das war damals für mich ein Schlüsselsatz, und ich war so dumm, dass ich glaubte, mir würden die Bücher, die ich in dieser Zeit las, dabei helfen. Ich dachte wirklich, man könnte etwas von dem Geheimnis der Kunst begreifen, wenn man alles las, was kluge Männer darüber

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