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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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zurecht?«
    »Ich bin nicht zufrieden. Es ist einfach nicht mein Bild geworden. Das Modell hat mich nicht interessiert.«
    »Und mich wiederum interessiert es überhaupt nicht, ob Sie mit dem Modell etwas anfangen können. Wenn Sie malen, werden Sie Aufträge annehmen müssen. Und Sie werden nicht nur die Aufträge annehmen können, bei denen Ihnen das Modell zusagt. Das gehört zu dem, was ichIhnen beibringen muss: auch ein saurer Apfel muss auf die Leinwand, wenn es ein Auftraggeber will, und zwar so, dass Ihr Auftraggeber und vor allem Sie selbst zufrieden sind. Schauen Sie sich die Malgeschichte an, die Geschichte der Kunst ist eine Geschichte von Auftraggebern. Das wird immer gern übersehen, weil es als anrüchig gilt, als unkünstlerisch, aber das gehört zum Handwerk. Wenn Sie das nicht lernen, verhungern Sie. Und dieses Stück Leinwand hier, das stecken Sie ganz schnell weg. Diesen Dreck will ich gar nicht gesehen haben.«
    Er hatte halblaut mit mir gesprochen, so dass die anderen von seiner Philippika kaum etwas mitbekommen hatten, wofür ich ihm dankbar war, und ich war auch erleichtert, endlich das Bild wegpacken zu können. In den folgenden Wochen aquarellierte ich und zeichnete mit Kohle, ich brauchte Zeit.
14.
    Drei Wochen nach der Scheidung hatte ich mit meinem Winterbild begonnen.
    Ich hatte keinen Mann mehr, der sich fortwährend darüber beklagte, dass ich nicht bei ihm lebe, und es gab auch keine Cordula mehr, die meinen Nachmittag und Abend beanspruchte. Jetzt hatte ich Zeit und arbeitete wie noch nie. Die Arbeit half mir, den Verlust der Tochter zu ertragen. Ich blieb länger als die anderen Studenten in der Hochschule, dann ging ich nach Hause, kaufte unterwegs das Nötige ein, aß etwas und setzte mich wieder an den Zeichenblock. Manchmal zwang ich mich auszugehen. Ich besuchte ein Theater oder Kino, saß verloren zwischen den Paaren und bemühte mich, der Geschichte zu folgen, was mir kaum gelang, da meine Gedanken, sobaldich nicht mit meinen Bildern beschäftigt war, um Cordula kreisten. Gelegentlich sehnte ich mich nach einem Mann, aber ich war erleichtert, allein zu leben. Ich war sehr zufrieden, die Geschichte mit Hans hinter mir zu haben. Meinen Eltern hatte ich es in einem Brief mitgeteilt. Ich hatte ihnen geschrieben, das Gericht habe Cordula Hans zugesprochen, ich wollte ihnen nicht erzählen, wie es in Wirklichkeit gewesen war, sie hätten es nicht verstanden und es ging sie auch nichts an. Vater schrieb, dass ich ein schlechter und gefühlskalter Mensch sei, eine Egoistin, und das sei ich schon immer gewesen. Diesen Brief beantwortete ich nicht, und als Mutter sich drei Wochen später schriftlich meldete und fragte, ob ich gekränkt sei, schrieb ich den beiden ganz unbefangen zurück und ging mit keinem Wort auf ihre Vorwürfe und Beschimpfungen ein. Was wussten sie schon von mir? Ich glaube nicht, dass sie auch nur ahnten, wie es dem kleinen Mädchen gegangen war, das vor Jahren bei ihnen lebte. Es hatte sie damals nicht interessiert, und so gab es für mich keinen Grund, ihnen zu erzählen, wie mir heute zumute war. Ich schrieb ihnen lediglich, dass ich Cordula vermissen würde, denn ich wusste, das könnten sie verstehen und würde ihnen gefallen. Dass ich Cordula aber nicht nur vermisse, sondern dass ich gleichzeitig auch erleichtert war, könnte ich ihnen nie erklären, und so beließ ich es bei der halben Wahrheit.
    Ich hatte mir fünf Schachteln Schlaftabletten zusammengekauft, manchmal spielte ich mit ihnen spätabends, ich baute sie auf dem Tisch auf, nahm sie aus der Schachtel, legte sie nebeneinander in eine Reihe und schaute sie minutenlang an. Ich sagte mir, dass ich immer auch diese Möglichkeit habe, dass mir dieser Ausweg stets offenstehe, und dann packte ich die Tabletten wieder in die Schachtel und war erleichtert. Wenn ich sie anschaute, wich derDruck, und ich wurde ganz heiter. Sie bedeuteten für mich eine Möglichkeit, mehr nicht, eine Möglichkeit, alles zu bestehen, zu überstehen. Vielleicht sind die Tabletten für mich das, was für einen gläubigen Menschen Gott ist, bei dem man zeitweise Trost findet, zu dem man flüchten, bei dem es etwas gibt, das einen retten kann, oder von dessen Hilfe man zumindest überzeugt ist. Wenn einer gläubig ist, dann ist es gleichgültig, ob es Gott oder den Heiligen wirklich gibt, es ist der Glaube, der ihm hilft. Und mir hilft die Existenz dieser Tabletten, sie sind meine feste Burg, die kleinen Schachteln sind mein

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