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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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geworden war oder sie eine Pause brauchte, zog sie ihren Bademantel an, und wir gingen in die Küche, um Tee zu kochen. Jedes meiner Blätter gefiel ihr. Irgendwann sagte sie zu mir, sie habe sich beim Betrachten meiner Zeichnungen in ihren eigenen Körper verliebt.
    »Das geht mir auch so«, sagte ich spontan. Dann wurde ich verlegen und korrigierte mich rasch: »Ich verliebe mich immer in meine Modelle. Anders kann ich gar nicht zeichnen. Ich muss sogar einen Baum oder eine Straße lieben, wenn ich sie aufs Blatt bringen will, anderenfalls schaffe ich es nicht, dann bleibt es totes Zeug.«
    Kathi zog ein Blatt heraus und hielt es mir unter die Nase.
    »Schön, nicht? Ich sehe gut aus auf dieser Zeichnung. Das ist richtig zum Ausstellen. Nur diese Linie stört, das ist eine Speckfalte, die hast du dazugedichtet.«
    »Habe ich nicht.«
    »Dann zeig mir, wo ich fett sein soll. Zeig es mir.«
    Sie schob den Bademantel beiseite und streckte den Hintern heraus.
    »Hör auf, Kathi. Das ist kein Fett, das ist eine völlig normale Hautfalte, die sich bei jedem Menschen bildet, wenn er sich so hinsetzt, wie du auf dem Bild.«
    »Das ist eine Speckfalte, und ich bin nicht fett. Die hast du nur dazugemalt, weil ich sonst zu schön wäre.«
    Und dann lachten wir, bis uns die Tränen kamen.
    An dem Ölbild arbeitete ich nach meinen Skizzen. Zweimal kam Katharina am Wochenende für ein paar Stunden in die Hochschule, um Modell zu sitzen, ich hatte sie darum gebeten, da mir meine Zeichenblätter nicht ausreichten, um das Bild fertigzustellen. Ich konnte die große Leinwand nicht durch die Stadt transportieren, um in ihrer Wohnung zu malen, außerdem war ihr Zimmer dafür zu klein. Als ich das Bild beendet hatte, rief Waldschmidt die Studenten des Malsaals zusammen und sprach fast eine Viertelstunde über meinen Akt. Er erhob einige Einwände, aber insgesamt lobte er meine Arbeit. Eine solche Kritik vor allen Kommilitonen war eine große Auszeichnung, so etwas kam nur drei-, viermal im Jahr vor und wurde von allen Studenten entsprechend registriert. Ich stand während seiner Ansprache neben der Staffelei und wagte nicht, den Kopf zu heben.
    Meine nächste Arbeit in Öl war der Kopf eines alten Mannes. Das Modell war ein Alter, der zu uns in die Schule kam, wann immer man ihn brauchte, ich musste ihn schon bei der Aufnahmeprüfung zeichnen. Mit dem Modellstehen verdiente er sich ein paar Mark dazu. Er war sehr dünn und besaß einen durchtrainierten Körper, bei dem man jede Sehne und jeden Muskel sehen konnte. Wie er uns erzählte, drillte er jeden Tag zwei Stunden lang den Körper, um seine Figur zu behalten. Ihm waren die Aktstudien am liebsten. Wenn wir nur seinen Kopf oder seinen Rücken zeichnen sollten, und er sich nicht ausziehen musste, beklagte er sich und redete über seinen Körper, den er für ein Kunstwerk hielt. Ihm machte es Spaß, sich vor den Studentinnen auszuziehen, für ihn war es offensichtlich erotisch, sich den jungen Frauen nackt zu präsentieren, und ein besonderes Vergnügen war es für ihn, wenn bei einer Sitzung sein Glied steif wurde. Keinervon uns redete auch nur ein Wort mit ihm, wir fanden ihn abstoßend und ekelhaft, aber das störte ihn nicht, er war von sich selbst begeistert.
    Der Kopf des Alten misslang mir. Das Bild war sehr genau, vielleicht viel zu genau, aber weder die Farben noch der Gesamtausdruck erzählten etwas. Selbst die Bildaufteilung erschien mir missglückt. Ich hatte ihn ohne Augen gemalt, auf meinem Bild hielt er den Kopf leicht geneigt, der Blick war nach unten gerichtet, so dass nur seine Augenlider zu sehen waren. Das Bild wurde beherrscht von seiner schmalen Glatze, es sollte, unausgesprochen, die Rembrandt-Studie eines Jünglings zitieren, dessen Schädel in ähnlicher Haltung skizziert war, aber das bemerkte keiner, weder Waldschmidt noch einer der Studenten. Es war einfach ein langweiliges Bild geworden, und meine Versuche, es mit kühnen Farbflecken interessanter zu machen, nahmen dem Bild die Glaubwürdigkeit. Es war alles in Ordnung, es gab nichts an ihm auszusetzen, es war langweilig. Vielleicht lag es daran, dass mir das Modell unangenehm war. Ich fand den alten Mann widerlich. Vielleicht musste ich meine Modelle wirklich lieben, so wie ich es Kathi gegenüber behauptet hatte.
    Waldschmidt blieb vor meiner Staffelei stehen, ich verzog verzweifelt das Gesicht und machte eine entschuldigende Geste.
    »Was ist?«, fragte er, »kommen Sie mit der Aufgabe nicht

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