Frau Paula Trousseau
anderen gegangen waren. Ich weiß nicht, ob mir diese Meditationen vor der weißen Leinwand wirklich halfen, ob sie eine notwendige Vorbereitung waren oder nur überflüssige Spielerei, aber da ich diese Stunden genoss, gewöhnte ich mir auf der Schule diesen Arbeitsbeginn an. Wann immer ich ein großes Format wählte, spannte ich die Leinwand auf den Rahmen, grundierte sie und saß nach dem Trocknen stundenlang vor dem noch unbefleckten Bild und überließ mich meinen Fantasien. Bei meinemWinterbild verging eine ganze Woche, ehe ich mich in der Lage fühlte, die ersten vorsichtigen Kohlestriche anzusetzen. Ich malte die Waldlichtung, die bereits auf meinem ersten großen Ölbild zu sehen war. Diesmal war es ein anderer Ausschnitt, ein anderer Blickwinkel, vor allem aber war es eine Landschaft im Winter. Alles war verschneit, es gab keinerlei menschliche oder tierische Spuren, die Farben waren vorhanden, aber unter dem winterlichen Weiß versteckt, sie waren nur zu ahnen. Ein dunkles Grün in vielen Schattierungen und einige Brauntöne versuchten, unter der weißen Decke hervorzubrechen, diese nur angedeuteten dunklen Farben kontrastierten die Bäume, die Parkbänke und die Wege.
Waldschmidt schaute jede Woche einmal auf meine Staffelei. Er lächelte mir aufmunternd zu, sagte aber nur wenig, und was er anmerkte, betraf lediglich Details. Es schien, als warte er ab. In der vierten Woche sprach ich ihn an, er sollte endlich einmal sein großes Schweigen aufgeben und mir etwas sagen.
»Sind Sie denn fertig?«, fragte er zurück.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich, »jedenfalls komme ich nicht mehr weiter. Vielleicht ist es nicht fertig, aber es ist zu Ende.«
»Und? Ist es das, was Sie wollten, Paula?«
Ich schaute auf mein Bild und schüttelte den Kopf.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte er, »eine gute Arbeit. Ein paar neue Töne von Ihnen, ein paar Reminiszenzen an die Holländer, eine tiefe Verbeugung, eine etwas zu tiefe Verbeugung vor Corot, aber davon abgesehen, ist alles in Ordnung. Ein paar Kollegen werden an Ihrem Menschenbild herummäkeln. Sie haben nicht eine Person im Bild, ein Mensch ist nicht einmal zu ahnen, das wird nicht allen gefallen. Doch ansonsten gibt es nichts auszusetzen. Eine gute Bildaufteilung, eine schöne Spannung, handwerklichgut bis sehr gut. Was hatten Sie denn vor, Paula? Warum sind Sie nicht zufrieden?«
»Ich weiß es nicht. Ich träumte von einem weißen Bild.«
»Ich verstehe. Dann gibt es allerdings noch entschieden zu viele Farben. Ein weißes Bild, ein monochromes Bild, na ja, das sind Anfängerträume, meine Liebe, eine hübsche Idee, die sich nicht verwirklichen lässt. Weiß, das ergibt kein Bild, keine Spannung, es hat keine Kraft. Es wäre langweilig, und das darf Kunst nie sein.«
»Es war aber nicht langweilig, ich habe es gesehen.«
»Ich sehe es nicht. Wenn Sie mich überzeugen wollen, dann müssen Sie es malen.«
Er sah mich an und lächelte. Er amüsierte sich über mich. Ich werde es dir zeigen, dachte ich mir, ich werde dir beweisen, dass es möglich ist, dass ich es kann.
15.
Eine Woche später fuhr ich mit meiner Studiengruppe und dem zweiten Studienjahr für zwölf Tage zu einem Pleinair in der Nähe von Prerow auf den Darß. Wir waren im Ferienhaus einer Werkzeugmaschinenfabrik untergebracht, mit der die Hochschule seit Jahren einen Vertrag hatte. Alle halben Jahre gingen einige Studenten in die Fabrik in Schöneweide, porträtierten die Arbeiter, machten Skizzen in den Fabrikhallen, und zum Abschluss gab es eine große Ausstellung in der Werkskantine. Dafür stand der Hochschule in der Vor- und Nachsaison für ein paar Wochen das Ferienhaus der Fabrik zur Verfügung. Ich hatte eins der wenigen Einzelzimmer bekommen, ich hatte darum gebeten und es dann zu meiner eigenen Überraschung erhalten. Ich teile ungern mein Zimmer mit anderen, ichbrauche Distanz, und ein Zimmer zu zweit, zumal mit einer Person, die ich kannte und daher nur bedingt auf Abstand halten konnte, empfand ich als Belästigung.
Wir frühstückten gemeinsam, dann verschwanden alle, um sich draußen einen Malplatz zu suchen. Das Wetter spielte mit, das Wasser war noch eiskalt, aber die Frühlingssonne wärmte bereits, so dass ich mit kurzen Hosen umherlaufen konnte. Es gab nur einen einzigen verregneten Tag.
Zwei Tage malte ich die alten Katen, zwei weitere Tage die Fischerkähne, die auf dem Prerower Strom ankerten, dann versuchte ich der idyllischen Landschaft zu entkommen, die mich
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