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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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lähmte. Ich borgte mir ein Fahrrad, um die Halbinsel und den Darßer Urwald zu erkunden und nach für mich geeigneten Flecken zu suchen. Jeden Morgen packte ich die Fahrradtaschen mit meinen Malsachen voll, machte mir am Frühstückstisch ein paar Brote und verließ das Ferienhaus, um erst am späten Nachmittag zurückzukommen. Ich arbeitete mit Blei und Kohle und aquarellierte, ich war fleißig und zeichnete und malte ununterbrochen. Abends stellten wir einige unserer Arbeiten im Klubraum aus, und Waldschmidt und Oltenhoff, die beiden mitgereisten Professoren, begutachteten sie und gaben Hinweise und Ratschläge. Das Pleinair war für uns alle ein wunderbarer Arbeitsurlaub, und ich genoss es, die ganze Zeit, von keiner Verpflichtung abgelenkt, mich irgendwo hinzusetzen und völlig ungestört zu malen.
    Im Quartier gab es einige Aufregung, weil eins der beiden Studentenpärchen sich trennte. Olivia, die seit drei Jahren mit Bernd zusammen war, begann in Prerow ein Verhältnis mit einem Studenten aus dem zweiten Studienjahr und hatte nichts Besseres zu tun, als es Bernd umgehend mitzuteilen. So kam es im Ferienhaus zu lautstarkenAuftritten und am Frühstückstisch gab es einige Peinlichkeiten.
    Und dann gab es den unvergesslichen Auftritt von Rita. Sie war in Professor Waldschmidt verliebt, was in der Hochschule alle seit Jahr und Tag wussten, und seit er sich vor einem halben Jahr hatte scheiden lassen, intensivierte sie ihre Bemühungen. Waldschmidt interessierte sich überhaupt nicht für sie, doch sie machte ihm unaufhörlich Avancen, worüber sich die ganz Hochschule amüsierte. Rita tat mir leid, aber ihr war nicht zu helfen.
    Der Auslöser war eine abendliche Geburtstagsfeier, es wurde Bier und Wein getrunken, die Stimmung war ausgelassen. Rita verließ die Runde sehr früh und ging nach oben in ihr Zimmer. An dem Abend hatte sie wenig gesagt und Waldschmidt mit den Augen verschlungen. Als sie aufstand und zur Treppe lief, hatte sie erkennbare Mühe, in ihren hohen Stöckelschuhen zu gehen. Rita war das einzige Mädchen, das Stöckelschuhe und feine Garderobe in das Ferienheim mitgenommen hatte. Eine Stunde später, es war gegen elf und ich hatte mich eben verabschiedet und wollte in mein Zimmer, tauchte Rita wieder auf der Treppe auf. Sie war betrunken und lallte, und sie war splitterfasernackt. In der rechten Hand hielt sie eine Stoffpuppe, mit der anderen Hand klammerte sie sich am Geländer fest. Sie schaute mit glasigen Augen zu Waldschmidt und sagte etwas. Wir starrten alle zu ihr, für einen Moment war es völlig still in dem großen Raum. Alle hatten den Kopf zu ihr gewandt, aber keiner von uns war in der Lage, sich zu bewegen. Sie schleuderte ihre rechte Hand durch die Luft, als wolle sie die Stoffpuppe in den Raum werfen, dabei knickte sie um und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Ein leichter Sonnenbrand rötete ihren Körper, nur die vom Bikini und den Shorts bedeckten Stellen waren weiß, so dass ihre Brüste undihre Scham hervorleuchteten. Sie ging die restlichen zwei Treppenstufen hinunter und auf Waldschmidt zu, aber als ihre linke Hand das stützende Geländer loslassen musste, stolperte sie. Sie stürzte auf die Knie, der Kopf schlug auf den Boden, sie lag zusammengekrümmt auf ihren Oberschenkeln, dann kippte sie zur Seite. Einige Kommilitoninnen kicherten, andere schrien auf. Professor Waldschmidt wies drei Mädchen an, Rita auf ihr Zimmer zu bringen, er riss eine Decke von einem der Tische, warf sie ihnen zu, die Mädchen legten ihr die Decke über und zogen sie hoch, um sie nach oben zu bringen. Erst nachdem man die Zimmertür ins Schloss fallen hörte, löste sich unsere Erstarrung. Ich blieb noch ein paar Minuten am Tisch sitzen, Waldschmidt kam und fragte mich, was er mit Rita machen solle und ob ich mit ihr reden könne. Ich zuckte nur mit den Schultern.
    Am nächsten Morgen erschien Rita vollkommen unbefangen am Frühstückstisch. Vielleicht war sie etwas blasser als sonst, aber sie schien überhaupt nicht verlegen zu sein. Ich bemerkte, wie alle sie verstohlen beobachteten, ich selbst tat es ja auch. Entweder wusste sie nichts mehr von ihrem nächtlichen Auftritt, was ich mir nicht vorstellen konnte, oder dieses Mädchen besaß eine Kraft, die ich ihr nicht zugetraut hatte. Eine Kraft, die ich jedenfalls nicht besaß. Rita plauderte mit den Tischnachbarn, aß ihr Frühstück mit Appetit und schien die Blicke der anderen nicht zu bemerken. Was immer dieses Mädchen von ihrer

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