Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
Vom Netzwerk:
nutzen. Im Marstall sollte mein Bild auffallen, es sollte sich von allen anderen absetzen, und dafür musste es so radikal wie möglich sein. Falls es mir misslang, falls Waldschmidt Recht haben sollte und ein weißes Bild keine Spannung und Kraft besitzen konnte, so hatte ich immer noch die anderen von ihm ausgewählten Bilder. Ich konnte also ganz beruhigt arbeiten, ein Scheitern bei dem monochromen Ölbild würde mich nicht die Ausstellung kosten.
    Ich hatte Mühe, mich in den restlichen Tagen an der Ostsee auf die Naturskizzen zu konzentrieren, sie langweilten mich auf einmal. Am liebsten wäre ich zurückgefahren, um in Berlin mit dem Ölbild zu beginnen. Waldschmidt sprach nicht mehr von der Ausstellung. Als wir zwei Tage später eine Party im Ferienhaus veranstalteten und er mich zweimal zum Tanz aufforderte, hoffte ich, er würde mit mir darüber sprechen, doch er verlor kein Wort. Ich geriet in Panik, ich fürchtete, Waldschmidtwürde es sich anders überlegen oder mir sagen, dass andere Dozenten sich gegen meine Beteiligung ausgesprochen hätten. Es war eine so überraschende und ungewöhnliche Chance für mich, dass ich tausend Gründe fand, wieso sie zerrinnen könnte. Und das wollte ich verhindern, diese Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen, um nichts in der Welt.
    Da es am nächsten Morgen regnete, ging ich nach dem Frühstück vor die Tür und stellte mich zu den Kommilitonen, die dort unschlüssig in den Himmel schauten.
    »Es regnet sich heute richtig ein«, sagte jemand. Keiner antwortete, wir standen stumm vor dem Haus, die Regentropfen fielen auf die Steinplatten und zerplatzten zu winzigen Fontänen, die unsere Schuhe besprühten. Zwei Mädchen hatten Gummistiefel an und sich alles übergezogen, was sie in ihrem Koffer mitgebracht hatten, sie wollten am Strand bis nach Zingst marschieren und dann den Bodden entlang über Wieck zurücklaufen. Ich bedauerte, dass ich weder geeignete Schuhe noch Regenkleidung eingepackt hatte. Ich wäre gern den ganzen Tag im Regen über die Halbinsel gelaufen, und am liebsten ganz allein. Ein paar Studenten wollten im Ferienheim zeichnen, die meisten jedoch nahmen den Regentag zum Anlass, eine Pause einzulegen, sie wollten, falls sich das Wetter nicht bessern sollte, Karten spielen. Ich hatte den großen Zeichenblock aus meinem Zimmer geholt und mich an ein Fenster im Speiseraum gesetzt, da ich dort allein sein konnte. Ich versuchte, ein paar Zeichnungen von meinen Skizzenblöcken zu einem Stillleben zu komponieren, aber die Ergebnisse befriedigten mich überhaupt nicht.
16.
    Um die Mittagszeit hatte ich bereits mit dem vierten Blatt begonnen, und nach wenigen Strichen ahnte ich, dass mir auch dieses misslingen würde. Waldschmidt kam in den Raum und sah mir zu. Ich zeichnete nervös weiter, dann ließ ich die Hand sinken und wartete darauf, dass er etwas sagte. Nach einigen Sekunden nahm ich den Kohlestift und strich zweimal quer über die Skizze, ein großes, breites, schwarzes Kreuz, das alles auslöschte. Dann ließ ich die Kohle auf die Erde fallen und sah mich nach Waldschmidt um. Er lachte. Ich wusste nicht, ob er zufrieden war oder sich über mich belustigte.
    »Ja, Paula, auch das gehört dazu. Handwerk ist nicht alles, es muss zusätzlich noch ein Funken vorhanden sein. Und wenn nichts zündet, dann bleibt es Makulatur.«
    Er strich mir über die Schulter und sagte noch so einen dummen Spruch, dass ich nicht aufhören, sondern sofort weiterarbeiten solle, als ob ich je daran gedacht hätte, aufzugeben. Waldschmidt stellte sich an ein Fenster und sah in den Regen. Ich schlug das Blatt um, griff nach einem Bleistift, legte ihn aber bald zurück. In seiner Anwesenheit fühlte ich mich unsicher. Ich nahm die Skizzenblöcke, setzte mich an einen Tisch mitten im Raum und sah sie langsam durch. Als Waldschmidt bemerkte, dass ich ihn beobachtete, setzte er sich zu mir. Ich klappte meine Zeichenblöcke zu und sah ihn an, ich hoffte, er würde etwas über die Ausstellung sagen, und überlegte, ob ich ihm erzählen sollte, dass ich in Berlin mit dem weißen Bild beginnen werde.
    »Haben Sie alles gut überstanden, Paula?«, fragte er.
    »Was meinen Sie?«, fragte ich irritiert. Ich glaubte, er spiele auf die Marstall-Ausstellung an.
    »Ihre Scheidung. Angenehm ist so etwas nicht.«
    »Für mich ist es besser so.«
    »Wollen Sie darüber reden?«
    »Nein. Die Hochzeit war ein Irrtum, das ist alles. Und diesen Irrtum habe ich korrigiert.«
    »Ich hörte, dass

Weitere Kostenlose Bücher