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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Nachmittag aufgehört, aber draußen war es klitschnass, so dass ich den ganzen Tag im Ferienheim arbeitete.
    Um fünf Uhr nachmittags kam Frau Lorenz in das Speisezimmer, um die Tische für das Abendbrot zu decken, und ich packte meine Sachen zusammen, um sie in mein Zimmer zu bringen. Frau Lorenz war die Frau des Hausverwalters, sie machte für uns Frühstück und Abendbrot. Den Abwasch und die Zimmerreinigung hatten wir selbst zu erledigen, sie überwachte uns nur beider Küchenarbeit und gab uns Besen und Scheuermittel. Ich war bereits an der Tür, als ich ein leises Schluchzen vernahm. Einen Moment lang war ich unschlüssig und dachte daran, rasch den Raum zu verlassen, doch dann wandte ich mich um und ging zu ihr. Frau Lorenz hatte mir den Rücken zugekehrt, ihre Schultern zuckten von dem unterdrückten Weinen. Ich legte meine Malsachen auf einem Stuhl ab.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf und stellte zugedeckte Schüsseln auf den Tisch. Dann ging sie mit dem Tablett zum nächsten Tisch, stellte es auf einem Stuhl ab, ordnete das bereits gedeckte Geschirr, drehte die Tassen um und stellte weitere Schüsseln hin. Sie bemühte sich dabei, mir stets den Rücken zuzuwenden. Ich war unschlüssig, was ich tun sollte. Was immer sie auch hatte, ich konnte ihr nicht helfen, und es interessierte mich auch nicht, aber ich wusste nicht, wie ich jetzt den Raum verlassen sollte. So setzte ich mich auf einen Stuhl und fragte nochmals, was ihr fehle. Sie ging wortlos mit ihrem Tablett zum nächsten Tisch, ich fuhr mit dem Finger die Muster der Tischdecke nach und verwünschte meine kindische Schwäche, nicht einfach gegangen zu sein. Ich hatte mich gerade entschlossen aufzustehen, als sie unvermutet auf mich zukam, einen Stuhl neben meinen stellte und sich hinsetzte. Sie sah mich abschätzig an, ihr Blick war hart, in ihrem Gesicht waren keinerlei Tränenspuren zu sehen, was mich überraschte.
    »Sie sind sehr jung«, sagte sie. Ihre Stimme hatte etwas Endgültiges. Ich wurde rot, ohne zu wissen, weshalb, ich brauchte wegen nichts verlegen sein und hatte mich für nichts zu schämen.
    »Sie sind noch sehr jung, aber Sie werden es auch erleben«, sagte sie geradezu feindselig. Sie stieß vernehmlichdie Luft aus und atmete dann so tief ein, dass es wie ein Aufseufzen klang.
    »Sie sind nicht verheiratet, Sie haben noch keine Kinder«, sagte sie, »Sie haben überhaupt keine Ahnung.«
    »Ich habe eine Tochter, und verheiratet war ich auch.«
    Ich spürte den Triumph in meiner Stimme, und biss mir auf die Unterlippe. Frau Lorenz sah mich überrascht an.
    »Aber das mit der Ehe ist mir misslungen, gründlich misslungen«, fügte ich hinzu und lachte.
    »Sie sind geschieden?«
    Ich nickte.
    »Und das Mädchen? Wie kommen Sie allein mit dem Kind zurecht?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Ich wollte ihr nicht erzählen, dass meine Tochter bei ihrem Vater lebt, ich hatte es so oft erklären müssen, dass ich es selbst nicht mehr verstand.
    »Ich habe drei Kinder«, sagte sie, »da lässt man sich nicht mehr scheiden. Mein Studium habe ich abgebrochen, dann eine Ausbildung und schließlich ein Fernstudium. Alles nicht beendet. Ich bin die Unvollendete. Und meine Ehe ist schon längst keine mehr.«
    Ich betrachtete die Frau in der Kittelschürze neben mir. Sie war Anfang dreißig und sehr schlank, die drei Kinder sah man ihr nicht an. Sie hatte das gleiche strohblonde Haar, das mir bereits bei ihren Kindern aufgefallen war. In ihrem breiten Gesicht waren die schmalen, schrägen Augen auffällig, die Lippen waren weich und voll, das Kinn sprang ein wenig vor und lief spitz aus, sie erinnerte mich an eine der Bäuerinnen von Barlach.
    »Ich habe noch zu tun«, sagte sie und ging zu einem der Tische. Einen Moment blieb ich noch sitzen und sah ihr zu. Ihr Körper bewegte sich kaum beim Gehen, er war müde wie bei einer alten Frau, er federte nicht mehr, erbesaß keine Spannung und keine Leichtigkeit, so als würde er nicht pulsieren, keinen Atem schöpfen und nichts mehr von den Rosen und Schmetterlingen wissen, die ihn einst so geschmeidig gemacht hatten und offen für Wolken und Wind und hungrig nach Liebe. Ihr Körper war schon verstorben, und sie schob ihn nur noch vor sich her. Ich nahm meine Malsachen und verließ langsam das Zimmer. Nachdem ich die Tür leise geschlossen hatte, schüttelte es mich.
    Abends kam Waldschmidt im Speisesaal zu mir und lud mich zum Essen in eine der Gaststätten im Ort ein.

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