Frau Prinz pfeift nicht mehr
ja in zwei Briefen der gesamten Nachbarschaft und dem Verband der Heilpraktiker
mitgeteilt. Ihre Stiefmutter hat nachweislich aus dem Moldenschen Vorgarten einen Bonsai gestohlen. Finden Sie, |49| daß das zu einer guten Nachbarschaft beiträgt?«
Die Prinz-Papke hielt für einen Moment den Atem an. Ihr Gesichtsausdruck bekam wieder etwas Verschlagenes, Gewöhnliches.
»Woher wissen Sie das alles?« entfuhr es ihr.
Kemper wurde immer mißmutiger. Anstatt gemütlich beim Japaner zu essen, saß er immer noch hier mit dieser Frusthenne und mußte
sich mit ihren Neurosen auseinandersetzen. Sein anfängliches Mitgefühl für das gekränkte Kind in ihr war rasch verflogen.
Die Papke war anscheinend genauso mißgünstig anderen gegenüber, wie ihre Stiefmutter es gewesen war. Die Moldens konnten einem
eigentlich leid tun. Er erlebte das öfter in seinem Beruf, daß völlig unbeteiligte Leute von Nachbarn in deren Familienprobleme
hineingezogen wurden.
Kemper setzte sich auf, sah auf seine Uhr. »Meine Ermittlungen haben eigentlich nur Positives über die Familie Molden ergeben.«
»Und daß die nächtelang in der Disco rumhängen, daß der Molden einen Porsche |50| fährt, obwohl er Schauspieler war und lange Zeit keine Angebote mehr bekam. Wer hat dem wohl die Heilpraktikerausbildung bezahlt?
Doch nur der Staat, also wir. Und jetzt zieht er den kranken Leuten das Geld aus der Tasche.«
Kemper entgegnete kühl, daß es ihn nicht interessiere. Die Moldens hätten eine reine Weste, nach allem, was er bisher ermittelt
habe. Leider lasse sich das von Familie Prinz nicht sagen. »Da gibt es so einiges Unklare, höflich ausgedrückt, Frau Prinz-Papke,
und bald werde ich mehr wissen. Aber jetzt kommen Sie mal auf den Punkt. Was hatte Ihr Bruder mit der Familie Molden zu tun?«
Ingrid Prinz-Papke erklärte schnippisch, daß sie die ganze Zeit nichts anderes mache, als ihm das zu erklären. »Die Moldens
hatten ein Au-pair-Mädchen, eine Französin, was sonst. Das war genauso eine Schlampe wie die Molden. Sie hat meinen Bruder
angebaggert, und er ist auf sie reingefallen. Der war nur noch bei den Moldens drüben, Tag und Nacht war er mit dieser Chantal
zusammen. Mein Bruder hatte vorher nie |51| eine Freundin, alles haben wir gemeinsam gemacht, er und ich, Kino, Theater, Tennis –«
»Ja, Moment«, unterbrach Kemper sie angewidert, »sollte er denn sein Leben lang mit Ihnen leben? Sie waren doch seine Schwester
–«
Die Prinz-Papke fuhr auf Kemper los, als habe er sie geohrfeigt. »Ich hätte nichts gegen eine Freundin gehabt, gar nichts,
aber es sollte doch nicht ausgerechnet eine Französin sein. Wer weiß denn, woher sie kommt, die rannte auch jede Nacht in
die Disco, trug Röcke, o Gott, und die höchsten Hacken. Zum erstenmal habe ich Muck nicht verstanden, aber er hat sich einen
Dreck um mich gekümmert. Er wollte nur Chantal, er war völlig verrückt nach ihr. Meine Mutter hat gesagt, daß die Moldens
sich diese Chantal eigens engagiert hätten, um uns Nepomuk wegzunehmen.«
»Kann es sein«, fragte Kemper, »kann es sein, daß Ihre Mutter krank war, ich meine psychisch –«
Ingrid Prinz-Papke schwieg, und Kemper gratulierte sich, daß er es geschafft hatte |52| , sie auch nur eine Sekunde zum Schweigen zu bringen.
Kemper spürte, daß er hungrig war, doch er mußte weiterfragen, die Tiraden der Prinz-Papke bis zum Ende anhören, solange sie
noch in Schwung war.
»Weiter – was war in Paris? Wieso starb Ihr Bruder in Paris im Gefängnis?«
Ingrid Prinz-Papke sah für einen Moment Kemper starr an. Dann sagte sie leise, daß Nepomuk, der Jura studierte, in Paris eine
Stelle als Referendar angetreten hatte. »Er wußte, daß Chantal wieder nach Paris zurückkehren würde, er wollte mit ihr dort
leben. Mutter hatte in seinem Zimmer ein Schreiben der Dresdner Bank gefunden, aus dem hervorging, daß Nepomuk eine Wohnung
in Paris gekauft habe. Mutter ist nach Paris geflogen, sie hat Muck in der Kanzlei nicht angetroffen, man hat ihr gesagt,
daß er auf der Baustelle sei. Die Mutter ist dorthin gefahren, und tatsächlich – Nepomuk und Chantal haben mit dem Architekten
eine Wohnung besichtigt, richtig wie ein junges Ehepaar. Mutter muß wohl Chantal beschimpft haben, Nepomuk war |53| so überrascht und wütend, daß er ohne Chantals Eingreifen seine Mutter aus einer Terrassentür hinuntergestürzt hätte. Chantal
war über die Szene dann so entsetzt, daß sie
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