Frauen al dente. (German Edition)
Wenn in der Wohnung sämtliche Gläser zersprungen wären – niemanden hätte es verwundert.
»Ich hoffe, du hast wenigstens Milchpulver für das Kind. Oder wird es am Ende noch gestillt?« fragte Barbara.
Wieder einmal konnte Marlen nur mit den Achseln zucken. Doch dann besann sie sich. »Seine Mutter ist tot«, erklärte sie schlicht. »Stillen entfällt also. Alles weitere wird der Anwalt erklären. Wo er bloß steckt?«
»Marlen, ich glaube, es wird Zeit, daß du uns mal was erklärst…«
In diesem Moment schellte es. Erleichtert sprang Marlen zur Tür.
»Lisas Weinen ist ja bis auf die Straße hinaus zu hören!« schimpfte Rechtsanwalt Bode vorwurfsvoll, ohne sich um Barbara und Hella zu kümmern, die ihn erstaunt anstarrten. Er zog aus der Jackentasche seines Tweedsakkos eine vorbereitete Babymilchflasche mit aufgesetztem Sauger. »Vermutlich dauert es zu lange, um die Milch noch warm zu machen. Dann muß es diesmal so gehen.«
Mit der Autorität desjenigen, der für ein hungriges Baby die langersehnte Nahrungsrettung brachte, baute er sich vor Hella auf. Doch Hella vergewisserte sich erst mit einem fragenden Blick bei Marlen, ob sie diesem Unbekannten das Kind ausliefern durfte. Als sie nickte, legte sie es ihm vorsichtig in die Arme.
»Ach du meine Güte, sie heißt Lisa Marlen und nicht Lili Marlen!« entfuhr es ihm. Eine steile Zornesfalte, die sofort wieder verschwand, erschien auf seinem Gesicht, als er die in schwarze Spitze gehüllte Lisa im Arm hielt.
Er setzte sich auf einen der Küchenstühle und schlug ein Bein über das andere, um für Lisa eine natürliche Wiege zu schaffen. »Ihr Küchentisch wackelt!« stellte er fest, als er den Ellenbogen aufstützte. Marlen sprang herbei, um ein wenig zusammengefaltetes Papier unter eines der Tischbeine zu schieben. Peinlich berührt fiel ihr der gestrige Abend ein. Ihre Bauchtanz-Lambada mit Jens lag keine 24 Stunden zurück. Und nun eine Kehrtwende um 180 Grad. Statt heißem Sex mit Jens ein Baby mit Rechtsanwalt Bode. Oder besser formuliert: Von Rechtsanwalt Bode. Auch mißverständlich. Aber wie auch immer – in jedem Fall eine ganz unmögliche Wendung! Eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken.
»Darf ich vorstellen?« rettete sie sich in Höflichkeiten. »Rechtsanwalt Bode. Meine Freundinnen und Mitbewohnerinnen Hella Mertens und Barbara Koch.«
Während Bode das Baby fütterte, erklärte Marlen mit knappen Worten die Situation.
»Du siehst ein, daß du als Mutter völlig überfordert bist, nicht wahr!?« sagte Barbara streng, nachdem Marlen geendet hatte. Es war eine Feststellung, keine Frage. »Zumindest fehlt dir eine ganze Menge Übung. Ein Wochenende wird dafür wohl kaum reichen.«
»Kein Thema«, winkte Marlen bestätigend ab. Doch ein winziger Stachel blieb haften. Welche Frau ließ sich schon gerne als mütterliche Fehlbesetzung hinstellen? Und dann noch in einer Weise, die keinen Widerspruch duldete. Und überhaupt – woher nahm Barbara, der Paradiesvogel unter den drei Freundinnen, eigentlich ihre mütterliche Autorität?
»Sprich mich bloß nicht darauf an!« wehrte Barbara ab. »An diesem Päckchen trage ich, seitdem ich dreizehn Jahre alt war. Damals heiratete meine Mutter nach ihrer Scheidung zum zweiten Mal. Und bekam prompt Nachwuchs. Noch zwei Mädchen. Und einen Babysitter dazu, nämlich mich. Ich wäre allerdings auch lieber mit meinen Freundinnen zum Schwimmen oder später in die Disco gegangen, statt immer nur Kinderwagen zu schieben und Windeln zu wechseln. Oder im Sandkasten Kuchen zu backen oder… na ja, lassen wir das. Meine Mutter war eben fest davon überzeugt, daß mir das Haushalten und Kinderpflegen im Blut liegt. Als ich nach der Hauswirtschaftsprüfung den ganzen Krempel hinschmiß, um Sozialwissenschaften zu studieren, fiel sie prompt in Ohnmacht!« Barbara lachte bitter auf.
»Das ist nicht dein Ernst?!« rief Marlen.
»Mein völliger Ernst. Sie war so geschockt, daß sie sich erst einmal hinlegen mußte. Mit Riechfläschchen und allem, eben richtig klassisch!« Barbara lachte nun wieder ihr fröhlich-schallendes Barbara-Lachen.
»Bevor Sie sich weitere Familiengeschichten erzählen – Lisa Marlen ist eingeschlafen. Wir müssen sie hinlegen. Marlen zeigen Sie mir bitte den Weg?« Bode erhob sich vorsichtig. Lisa Marlen hatte ihren kleinen Kopf seitlich auf seine Schultern gelegt und schlief nun mit geöffnetem Mund. Ein schmaler Milchrest sickerte auf Bodes Tweedsakko. Vorsichtig wischte Barbara
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