Frauen, die Geschichte machten
Braunschweig.
Es war von einem Emigranten entworfen worden und ließ erkennen, dass die einrückenden Armeen das Rad der Geschichte bis weit
in Vor-Revolutionszeiten zurückdrehen wollten. Das rief eine Welle patriotischer Kriegsbegeisterung in Frankreich hervor,
zugleich aber auch Wut auf die, zu deren Schutz die preußischen und österreichischen Heere angeblich unterwegs waren, nämlich
auf das Königspaar und ihre Kinder. Am 10. August stürmte eine bewaffnete Menschenmenge die Tuilerien. Ludwig XVI. stellte
sich und die Seinen unter den Schutz der nebenan tagenden Legislative und blieb so unversehrt, während im Schloss seine Schweizer
Garde abgeschlachtet wurde. Die Volksvertretung beschloss drei Tage später die Abschaffung der Monarchie und die Erklärung
der Republik. Die königliche Familie wurde in den Temple gebracht, den früheren Sitz der Templerritter. In dem mittelalterlichen
Gebäude hauste der entthronte König, nun bloß noch als »Bürger Capet« (man benutzte den Beinamen des ersten französischen
Königs Hugo Capet, als wäre es ein bürgerlicher Nachname), mit Frau und Kindern, unter strengster Bewachung wie ein Schwerverbrecher.
Mit unbegreiflicher Gemütsruhe beugte er sich allen Veränderungen. Die Führung übernahm nun ganz seine Ehefrau. Sie unterrichtete
die Kinder und war unablässig bemüht, über Geheimkuriere mit der Außenwelt in Verbindung zu bleiben.
Derweil kämpfte der junge Staat um sein Überleben. In dem Maße, wie die äußere Bedrohung zunahm, wuchs die Radikalisierung
im Inneren. Zu Tausenden wanderten erst die Gegner der Revolution aufs Schafott, später auch Revolutionäre |183| selbst, die nicht radikal genug vorgingen. Auch der König wurde als Sicherheitsrisiko angesehen. Am 11. Dezember 1792 wurde
der Prozess wegen Verrates und Verschwörung gegen ihn eröffnet. Er endete mit dem Todesurteil. Am 21. Januar 1793 bestieg
Ludwig XVI. das Schafott auf dem Revolutionsplatz (heute Place de la Concorde).
Was tun mit Marie Antoinette? Die »Witwe Capet«, wie sie nun hieß, konnte doch in ihrem düsteren Turm hockend keinen Schaden
mehr anrichten! Dennoch saß der Hass bei den Revolutionsführern so tief, dass eine zivilisierte Lösung, etwa eine Abschiebung,
nicht in Frage kam. Andererseits war man in Marie Antoinettes Heimat auch nicht bereit, sich für die unglückliche frühere
Erzherzogin besonders ins Zeug zu legen. Ihre Mutter Maria Theresia war längst tot, ihre Brüder Joseph und Leopold, die danach
als Kaiser amtierten, lebten auch nicht mehr. Inzwischen war die nächste Generation am Ruder, Marie Antoinettes Neffe Franz
II. Der führte zwar Krieg gegen Frankreich und Befreiung der Königsfamilie war eines seiner Ziele. Aber längst hatten sich
territoriale Interessen in den Vordergrund geschoben, Österreich gedachte sich in seinen alten niederländischen Besitzungen,
die die Franzosen ihm entrissen hatten, wieder festzusetzen. Für ein saftiges Lösegeld wäre die Republik wohl bereit gewesen,
Marie Antoinette herauszugeben, aber in Österreich wollte man davon nichts wissen. Keine Verhandlungen mit dem Pöbel!
So blieb die »Witwe Capet«, wo sie war. Es gelang ihr weiterhin mit Königstreuen außerhalb des Temple Verbindung zu halten,
Ausbrüche wurden geplant, aber nichts davon ließ sich wirklich durchführen. Anfang Juli 1793 traf sie ein fürchterlicher Schlag.
Der Wohlfahrtsausschuss verfügte die Wegnahme ihres zweiten Sohnes, Charles-Louis, der seit dem Tod des älteren Bruders als
Dauphin, als künftiger König Ludwig XVII. gelten konnte. Die gesetzgebende Körperschaft der Republik hieß inzwischen Konvent,
die wahre Macht aber hatten Ausschüsse an sich gerissen, von denen der Wohlfahrtsausschuss trotz seines harmlosen Namens der
schlimmste war. Der achtjährige Knabe wurde einem Schuster namens Simon zur Betreuung übergeben; nach der Überzeugung der
Revolutionäre war das ein vorzügliches Verfahren, um den verderblichen Einfluss der Mutter auf das Kind zu beenden. Das gelang
in erschreckender Weise. Als drei Monate später der Prozess gegen Marie Antoinette begann, war das Kind bereit, alles zu bezeugen,
was ihm suggeriert wurde, u. a. blutschänderische Beziehungen zu seiner Mutter. Es sah den Anklägern des Revolutionstribunals
ähnlich, dass sie erst einmal versuchten, Marie Antoinette als Frau und Mutter zu treffen. Bei den Zuhörerinnen des Prozesses
kamen sie schlecht an
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