Frauen lügen
hat sich seit zwanzig Jahren nicht geändert. Fred hält das für ein gutes Omen, was ihre anderen Vorlieben angeht.
»Wie du siehst, gibt es hier unten nur diesen einen großen Raum. Kochen, Essen, Wohnen, alles nah beieinander. Was oben ist, kannst du dir ja denken.«
Den Blick, den Susanne Michelsen ihm zuwirft, kann Fred nicht sehen, denn er öffnet gerade den Kühlschrank, um zwei Flaschen herauszuholen. In der einen ist ein nobler Sancerre, den er am Nachmittag in der besten Weinhandlung Sylts mit Bedacht ausgewählt hat, und in der anderen ist San Pellegrino. Wasser. Das Getränk seiner Wahl.
»Setzen wir uns auf die Terrasse, oder ist dir das zu kalt?«
»Nein, überhaupt nicht. Ich bin hier auf der Insel geboren, falls du das schon vergessen haben solltest. Ich weiß, wie man sich richtig für einen Sylter Sommerabend anzieht.«
Lachend weist Susanne Michelsen auf ihre Wildlederstiefel und die Fellweste, die sie über einer weißen Jeans und einem hellen Rollkragenpullover trägt. Fred nutzt die Gelegenheit, um seinen Blicken einen Spaziergang über ihren Körper zu gestatten. Soweit er es erkennen kann, hat der sich seit den fernen Tagen ihrer Beziehung nicht wesentlich verändert. Eine Tatsache, die erheblich zu seiner Nervosität beiträgt. Trotzdem gelingt Fred die Coolness gut, mit der er draußen auf den Strandkorb und die Teakholzstühle weist. Die Terrasse seines Apartments liegt direkt vor dem schmalen Fußweg, der den Wenningstedter Dorfteich umrundet. Einzelne Spaziergänger flanieren auf dem Rundweg, manchmal weht eine leise Unterhaltung herüber, aber meist verschluckt das Plätschern der Fontäne in der Mitte des Teiches alle Worte.
»Schau mal, ist das nicht traumhaft, wie sich auf der Wasserfläche die Abendsonne spiegelt. Wegen dieser Aussicht habe ich vor einem halben Jahr die Wohnung gekauft. Ich habe mich zwar bis über beide Ohren verschulden müssen, aber dabei festgestellt, dass ich recht kreditwürdig bin. Wahrscheinlich liegt das an der geplanten Verfilmung meines Buches.«
»Gratuliere. Und? Fühlst du dich wohl hier?«
»Auf jeden Fall. Tagsüber ist es zwar ein bisschen belebt, aber nach Sonnenuntergang hat man den ganzen Teich für sich allein. Willst du in den Strandkorb mit Blick auf die Fontäne? Ich sehe ganz gern hinüber zur alten Kirche.«
»Weißt du, dass ich dort getauft und eingesegnet worden bin? Und auf dem Friedhof hinter der Kirche liegen meine Eltern begraben.«
»Nein, das hast du damals nie erzählt.«
»Damals lebten sie auch noch. Außerdem hatten wir mit Anfang zwanzig andere Themen.«
»
Du
warst Anfang zwanzig, ich war Mitte dreißig.«
»So alt schon? Das hast wiederum du nie erwähnt. Ich hielt dich immer für einen ganz jungen Wilden.«
Fred lacht sein raues Cowboylachen, das er vermutlich jahrelang nicht mehr bemüht hat. Für wen auch, bei dem reduzierten Leben in dem Lister Gartenhaus, das er in der Zwischenzeit geführt hat und von dem Susanne nicht unbedingt erfahren muss. Doch als er ihr von dem Weißwein, sich selbst aber nur Wasser einschenkt, stellt sie die Frage ganz von selbst.
»Du trinkst nichts?«
»Ich hatte ein kleines Problem damit. Es ist besser so.«
»Ich dachte schon, du willst mich abfüllen.«
»Sollte ich?«
»Besser nicht.« Sie hebt ihr Glas und prostet ihm zu, dann kostet sie den Wein. »Du, der ist gut. Willst du nicht doch mal probieren?«
»Lass gut sein. Ich freue mich, wenn es dir schmeckt.«
Susanne Michelsen hebt erneut ihr Glas und wiegt den Wein im Mund. Dabei lässt sie den Blick über den sanft gerundeten Teich wandern.
»Was hast du getrieben, nachdem wir uns getrennt haben? In den letzten Monaten waren die Medien voller Berichte über dich und deine große Reportage. Aber nirgendwo stand etwas über die Zeit davor.«
»Ich hatte eine schwere Trennung hinter mir, die musste ich erst einmal verarbeiten.«
Fred weiß, Frauen lieben es, wenn sie für alles Leid der Männerwelt verantwortlich sind. Natürlich nur, wenn sie erst nachträglich davon erfahren und der Betroffene sich zwischenzeitlich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen hat.
»Zwanzig Jahre lang? Das meinst du nicht ernst …«
Ihre Stimme klingt geschmeichelt. Na, geht doch, denkt Fred und legt nach.
»Doch, Sanne, das meine ich ernst. Ich hatte in der Zwischenzeit ein übles Alkoholproblem und das vor allem deinetwegen.«
»Sanne.«
Sie lacht leise. »So hat mich nach dir niemand mehr genannt, weißt du das?«
»Woher soll
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