Frauen lügen
Waffenschrank den Rücken und kommt langsam zum Sofa zurück. Er ist jetzt sichtlich um Selbstbeherrschung bemüht und lässt sich Zeit mit seiner Antwort.
»Ich war den ganzen Tag über hier in Hamburg. Es gibt etliche Leute, die Ihnen das gern bestätigen werden. Am Vormittag war ich im Büro meiner Firma. Mittags gab es einen unerfreulichen Vorfall auf einer Baustelle, den ich regeln musste. Das war in der Hafencity so zwischen eins und zwei etwa. Am Nachmittag war ich dann hier im Haus allein, aber am Abend habe ich bei einem Empfang vorbeigeschaut. Der Gastgeber wird sich erinnern.«
»Am Abend heißt konkret wann?«, setzt Bastian nach.
»Es war schon später. Gegen zehn würde ich sagen, vielleicht auch erst halb elf.«
»Das heißt für uns, dass Sie zwischen zwei und zehn Uhr überall gewesen sein könnten. Auch auf Sylt. Mit dem Wagen ist das durchaus zu schaffen. Sie haben doch sicher ein schnelles Auto.«
»Ich verbitte mir diesen Ton! Ich habe meine Frau nicht umgebracht. Warum hätte ich das tun sollen?«
»Weil sie Ihnen untreu war.«
»Davon wusste ich nichts.«
»Das sagen Sie, aber wir müssen es nicht glauben.«
Jonas Michelsen reißt die Tür seines Waffenschranks auf und greift nach einem Jagdgewehr.
»Raus! Sie verlassen jetzt auf der Stelle mein Haus. Ich werde mich über Sie beschweren. Es ist eine Unverschämtheit, wie Sie hier auftreten …«
Michelsens Stimme wird mit jedem Wort lauter und heftige Bewegungen mit dem Gewehr unterstreichen das Gesagte.
»Immer mit der Ruhe. Und die Waffe legen Sie besser ganz schnell zurück.«
Bastian Kreuzers Stimme klingt sanft, fast schon einschmeichelnd. Beide Kommissare stehen sehr langsam auf und wenden sich zur Tür, ohne den wütenden Hotelier aus den Augen zu lassen. Was gerade geschieht, überrascht sie wenig. Jonas Michelsens Verhalten ist nicht untypisch, und seine psychologische Motivation so alt wie die Menschheit. Er versucht, den Druck zu verschieben. Um sich der Nachricht vom Tod seiner Frau nicht emotional stellen zu müssen, richtet er seine Wut auf die Überbringer der schlechten Nachricht. In der Antike hätte man jeden Boten in einer solchen Situation umgebracht. In der Neuzeit verlegen sich die Menschen im Allgemeinen aufs Drohen und Beschimpfen. Auch Jonas Michelsen lässt jetzt die Waffe sinken.
»Danke, Herr Michelsen. Und bitte beruhigen Sie sich. Die Nachricht vom Tod Ihrer Frau hat Sie natürlich sehr getroffen. Wir verstehen das. Und selbstverständlich verlassen wir Ihr Haus, wenn Sie das wünschen. Aber es wäre uns doch wohler, wenn wir Sie nicht allein zurücklassen müssten. Können wir jemanden für Sie anrufen? Einen Freund, einen Arzt, einen Vertrauten?«
»Meinen Anwalt werde ich anrufen, ihr Torfköppe«, brüllt Michelsen und reißt das Gewehr von neuem hoch. »Verzieht euch auf eure Insel, ihr Versager. Wenn ihr den Brandanschlag rechtzeitig aufgeklärt hättet, wäre das alles vielleicht gar nicht passiert.«
»Haben Sie einen Verdacht?«, kann Bastian Kreuzer gerade noch fragen, dann muss er sich auch schon vor dem Gewehrkolben in Sicherheit bringen. Im Laufschritt traben die Kommissare durch die Diele zur Tür hinaus und dann zu ihrem Wagen. Der laute Knall, mit dem der Hausherr die Tür hinter ihnen ins Schloss wirft, ist einem Schuss nicht unähnlich.
Samstag, 20 . August, 6.23 Uhr,
Bahnhofsstraße, Morsum
Das Klingeln braucht lange, bis es sich durch Albert Dornfeldts Träume gekämpft hat und in sein Bewusstsein vorgedrungen ist. Verwirrt greift der Hotelmanager nach dem Wecker, der nur noch aus alter Gewohnheit neben seinem Bett steht. Längst lässt Dornfeldt sich jeden Morgen vom Handy aus dem Schlaf holen. Auch jetzt liegt das Smartphone auf dem Nachttisch, doch heute ist Samstag und die Weckfunktion ausgeschaltet. Die Uhr zeigt fast halb sieben, und das Klingeln ist ein Anruf auf dem Handy. Dornfeldt wirft einen Blick auf das Display, sieht den Frauennamen und nimmt den Anruf an.
»Was ist los? Ich schlafe noch.«
»Gleich bist du wach, keine Sorge. Willst du wissen, was passiert ist?«
»Jetzt sag schon.«
»Susanne Michelsen ist tot. Ermordet.«
»Du spinnst.«
»Nein, ehrlich. Ich hab’s direkt von Jonas. Die Polizei ist extra von Sylt nach Hamburg gekommen, um es ihm schonend beizubringen. Er muss ziemlich ausgerastet sein. Du kennst ihn ja.«
»Allerdings. Wie ist es passiert? Das mit Susanne, meine ich.«
»Sie hatte eine Waffe in ihrer Handtasche, ein Geschenk von
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