Frauen lügen
Nussbaum kenne ich nicht persönlich, das kann ich nur wiederholen. Ansonsten werden Sie von mir nichts über meine privaten Umstände erfahren. Wer mich mit solch haarsträubenden Unterstellungen beleidigt, kann nun wirklich nicht mit meiner Unterstützung rechnen. Dies ist die letzte Audienz, die ich Ihnen gewährt haben werde. Sie können sich in Zukunft gern an meinen Anwalt wenden, die Adresse wird Ihnen zugehen.«
Mit elastischen Bewegungen schnellt Jonas Michelsen vom Sofa auf und weist auf die Tür zur Eingangshalle.
»Wenn ich Sie jetzt bitten darf, mein Haus zu verlassen. Meine Frau wird am Mittwoch auf dem Friedhof in Wenningstedt neben ihren Eltern beigesetzt. Bis dahin habe ich noch viel zu erledigen, das werden Sie vielleicht verstehen können. Guten Tag.«
Sonntag, 21 . August, 21.37 Uhr,
Alte Dorfstraße, Westerland
Auf der Mattscheibe in Siljas gemütlichem Wohnzimmer beginnt eine lächerliche Verfolgungsjagd durch eine dunkle Fernsehnacht. Während die beiden Kommissare das Letzte aus ihrem Dienstwagen herausholen, springt der Motorradmörder gerade noch über eine sich hebende Zugbrücke. Bremsen kreischen, und das Auto der Ermittler kommt nur wenige Meter vor dem Abgrund zum Stehen.
»Und jetzt?«, fragt der Dicke den Dünnen.
»Wie wär’s mit Schwimmen, bei dir geht das ja ganz von allein«, ist die launige Antwort.
Silja trinkt den Rest aus ihrem Rotweinglas und angelt nach der Flasche, um sich nachzuschenken. Ohne Alkohol ist dieser »Tatort« kaum zu ertragen. Eigentlich erstaunlich, dass der Sonntagabendkrimi seit Jahrzehnten so viele Fans hat. Vielleicht ist es für unbescholtene Bürger einfach tröstlich, wenn am Ende jeder Woche wenigstens etwas abgeschlossen wird und das Gute einen verlässlichen Sieg erringt, egal wie konstruiert der jeweilige Fall auch sein mag.
Heute Abend hat der Motorradmörder zwar den Sprung über die Zugbrücke geschafft und damit einen uneinholbaren Vorsprung errungen, weil es jetzt aber nur noch vier Minuten bis zum Ende der Sendung sind, muss etwas geschehen. Ziemlich unvermittelt rutscht da auch schon die schwere Maschine in einer Öllache aus, die sogar im Fernseher überdeutlich zu erkennen war. Schön melodramatisch schlittern Mann und Gefährt meterweit über den Asphalt. Gleich darauf ist das erste Blaulicht am Ende der nächtlichen Straße zu erkennen. Recht und Ordnung haben ihren allsonntäglichen Sieg errungen.
Mit der linken Hand schaltet Silja das Gerät aus, während sie mit der rechten wieder nach dem Weinglas greift. Direkt neben der Fernbedienung liegen Festnetztelefon und Handy auf dem Couchtisch.
Aber Bastian ruft nicht an.
Und Silja ist noch nicht einmal sicher, was sie tun würde, falls er am Apparat wäre. Vielleicht ist es ja ganz gut, dass alles so gekommen ist. Seit gestern kann sie förmlich spüren, wie ihr Panzer wieder stabiler wird. Und das ist noch nicht mal ein unangenehmes Gefühl, eher im Gegenteil. Seit ihre kleine Schwester vor etlichen Jahren zum Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist und beide Eltern an den Folgen dieser Tat zerbrochen sind, hat sich auch Siljas Leben dramatisch verändert. Nicht nur ihr Entschluss, nach dem Abitur auf ein Studium zu verzichten und zur Kriminalpolizei zu gehen, stammt aus dieser Zeit. Auch die unnahbare und kühle Aura, die sie seitdem um sich zu verbreiten weiß und die mit Sicherheit so manchen Verehrer abgeschreckt hat, ist damals als reiner Schutzmechanismus entstanden.
Erst während der zwei Jahre zurückliegenden Ermittlungen im Fall der drei verschwundenen Mädchen bekam ihr Panzer Risse. Und als in jenem Sommer Bastian Kreuzer als Verstärkung vom Festland zu ihnen stieß, war es ausgerechnet er, dem sie zum ersten Mal von ihrer Vergangenheit erzählte. Als sie und Bastian wenig später ein Paar wurden, schien es für Außenstehende, als habe sich damit auch Siljas gesamte Ausstrahlung geändert. Sie wirkte offener und lockerer – und so fühlte sie sich auch.
Bis zu dem Gespräch gestern am Strand von List. Nicht dass Bastian an ihrer Tätertheorie zweifelte, hat sie erbost. Aber als er begann, höhnisch über ihre Vergangenheit zu reden, kochte alles wieder hoch, was sie längst überwunden geglaubt hatte. Die Panik, die Wut, die ungeheure Hilflosigkeit nach dem Tod der Schwester, deren Mörder man bis heute nicht gefunden hat.
Bastian hatte nicht das Recht, sich darüber lustig zu machen. Es war nicht fair, und Silja kann sich nicht vorstellen, ihm zu
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