Frauen lügen
die er geliebt hat, das nun an Boden, Wänden und Decke klebt und ihm ein Betreten der oberen Etage unmöglich macht. Darum hat er wie schon in der letzten Nacht sein Lager hier unten aufgeschlagen. Denn bis gestern hielt sich hier noch die Erinnerung an die lebendige Susanne, an ihr Lachen, ihren Duft und ihren Gang. Doch jetzt, zwei Tage nach der Tat, ist auch dies fort. Fred Hübners Traum hat die sterbende Susanne bis hinaus auf die Terrasse getragen, er hat noch den letzten Rest von Erinnerung vergiftet und das Unfassbare in ebenso plastische wie schreckliche Bilder gebannt.
Stöhnend reibt sich Fred die Stirn. Ihm ist, als habe ein ausgewachsener Kater seinen Körper in den Krallen. Alle Glieder schmerzen, der Kopf pocht beharrlich und jede Bewegung ist mühsam. Ängstlich lässt Fred den Blick über den Koffer vor der Ledercouch wandern. Nein, hier stehen keine Alkoholreste, nur zwei Wassergläser, eine fast leere Seltersflasche und ein kleines Heer von Espressotassen, auf deren Untertellern verschütteter Kaffee schwarze Ringe hinterlassen hat. Für Sekunden überdeckt Erleichterung den Schmerz. Es hat in der vergangenen Nacht keinen Rückfall in die Sucht gegeben, Fred ist stark geblieben und hat den alten Dämonen den Einlass in sein Leben nach dem Mord verwehrt. Doch wie lange wird ihm das noch möglich sein?
Mühsam richtet Fred sich auf, lässt die Beine über die Couchkante zu Boden gleiten und stützt sich mit beiden Händen ab, um den Oberkörper wie ein überaltertes Geschütz in eine aufrechte Lage zu bringen. Schwankend sitzt er nun da, ein nutzloser Mann, den es vor der vor ihm liegenden restlichen Lebenszeit graut. Alle Anstrengungen der letzten zwei Jahre haben nichts gefruchtet, sondern ihn nur in diese hoffnungslose Lage gebracht. Fred Hübner spürt, wie die letzte Kraft seinen müden Körper verlässt, er gibt auf und lässt sich zurück auf sein provisorisches Lager sinken. Mit einer Hand tastet er nach der Packung mit den starken Beruhigungsmitteln, die er sich gestern besorgt hat. Er drückt ohne hinzusehen zwei Kapseln aus der Folie, legt sie auf die Zunge und spült sie mit der restlichen Flüssigkeit aus der Wasserflasche hinunter. Dann schließt er die Augen und wartet auf die gnädigen Schleier, die sich in spätestens zwanzig Minuten über sein Bewusstsein breiten werden, um alles zu verdecken: Die Verzweiflung, die Trauer, vor allem aber die Scham darüber, dass er nicht da war, als die geliebte Frau ihn gebraucht hätte.
Sonntag, 21 . August, 13.10 Uhr,
Elbchaussee, Hamburg
»Ich kenne diese Frau Nussbaum nicht persönlich, wie oft soll ich das denn noch betonen!«
Jonas Michelsens mühsam aufrechterhaltene Ruhe droht einer tiefen Wut zu weichen. Sven Winterberg sitzt auf dem gleichen Platz, den er schon bei dem nächtlichen Besuch in der Villa direkt nach dem Tod Susanne Michelsens eingenommen hatte und hofft plötzlich, dass es ihm gelingen könnte, den Panzer zu knacken, den der Hotelier sich offensichtlich sehr sorgsam angelegt hat. Nur noch eine kleine Provokation wird nötig sein, um vielleicht bis zu den wahren Gefühlen seines Gegenübers vorstoßen zu können.
»Herr Michelsen, Ihre Haushälterin, die mir eben die Tür geöffnet hat, konnte sich sehr genau an dieses Handy erinnern.«
»Wie kommen Sie dazu, mit meinen Angestellten zu reden?«
»Ich bin Kriminalpolizist, ich untersuche den Mord an Ihrer Ehefrau, das werden Sie ja wohl nicht vergessen haben.«
»Wenn Frau Lembke das Handy kennt, dann weiß sie mehr als ich.«
»Interessiert es Sie nicht, woher sie das Handy kennt?«
»Sie werden es mir sicher gleich sagen.«
»Ihre Frau Lembke hat dieses Handy«, fast triumphierend schwenkt Sven jetzt das Beweisstück in seiner durchsichtigen Plastikhülle vor den Augen Michelsens durch die Luft, »in Ihrem Jackett gefunden.«
»Das ist gelogen. Was hatte sie überhaupt an meinen Anzügen zu suchen?«
»Ihre Frau hat sie gebeten, einige davon in die Reinigung mitzunehmen. Und vorher hat Ihre Haushälterin die Taschen kontrolliert. Das macht sie immer, sagt sie. Alles, was ihr dabei in die Hände fällt, übergibt sie Ihrer Frau. Und am Freitag vor einer Woche war das unter anderem dieses Handy.«
»Freitag vor einer Woche. Woher weiß sie das Datum so genau?«
»Weil der Freitag seit Jahren der Tag ist, an dem sie regelmäßig die frischen Sachen aus der Reinigung holt und die schmutzigen abgibt. Es ist doch richtig, dass Ihre Haushälterin schon seit zehn
Weitere Kostenlose Bücher