Frauen lügen
immer auf dem Hotelparkplatz abgestellt ist, nimmt er eine Bewegung auf dem Areal des ehemaligen Speisesaals wahr. Dieser Bereich ist seit dem Brand durch einen provisorischen Bauzaun gesichert, und niemand hat sich dort herumzutreiben.
Mit schnellen Schritten überquert der Manager den Parkplatz und biegt um die Ecke des Hotelgebäudes. Anstelle des ehemals stolzen Neubaus stehen hier nur noch schwarze Mauern, auf deren Kuppen die verkohlten Überreste des Dachstuhls wie stumm anklagende Finger in den Sommerhimmel ragen. Noch immer hängt der Geruch von Ruß in der Luft.
Albert Dornfeldt sieht sich aufmerksam um, doch es ist niemand zu entdecken. Vorsichtig steigt der Manager über Metallteile und Aschehaufen, inspiziert jeden Winkel des vollkommen leergebrannten Gebäudes und ruft schließlich mit lauter Stimme: »Ist da jemand?«
Keiner antwortet.
Mit einem resignierten Blick auf seine hellen Wildlederslipper, die inzwischen von Rußpartikeln überzogen und vermutlich nicht mehr zu retten sind, beschließt Dornfeldt spontan, noch einen kurzen Ausflug zum Strand zu machen, um sich ein wenig den Wind um die Nase wehen zu lassen. Insgeheim graut es ihm vor der abendlichen Einsamkeit in seiner Morsumer Eigentumswohnung, in der er sich seit dem Brandanschlag auf das Wartehaus nicht mehr so recht geborgen fühlen kann.
Für den Weg vom Hotelgelände bis zum Strand hinunter braucht Dornfeldt keine fünf Minuten. Schon die ersten Windböen, der Geruch nach Salz, die Möwenschreie und das Brüllen der aufziehenden Flut tun ihm gut. Er streift die Slipper ab, zieht die Socken aus, streckt anschließend sehr bewusst den ganzen Körper und atmet tief durch. Während Albert Dornfeldt langsam den sanft abfallenden Strand bis zur Meereskante hinunterläuft, ist ihm mehrmals, als höre er jemanden keuchend atmen. Doch hat er sich die huschende Gestalt am niedergebrannten Speisesaal nicht auch schon eingebildet?
Der gesamte Strand vor ihm ist leer, und auf dem Weg ist ihm niemand gefolgt. Außerdem tobt das Meer so laut, dass Atemgeräusche gar nicht hörbar wären. Vermutlich ist er nur überarbeitet und überreizt. Dornfeldt beschließt, sich nicht irre machen zu lassen, beginnt den Marlene-Dietrich-Schlager »Nur nicht aus Liebe weinen« zu pfeifen und setzt forsch seine Schritte im Takt der Melodie. Als wenige Meter vor der Wasserkante ein schwerer Schlag seine Schläfe trifft, bricht der Pfeifton plötzlich ab. Albert Dornfeldts gespitzte Lippen erschlaffen, sein Gesicht verzieht sich im Schmerz, sein Körper sackt zusammen und fällt ungelenk auf den feuchten Sand. Für wenige Sekunden ertönt ein kehliges Lachen, das sich schnell mit dem Schrei der Möwen mischt und gleich darauf von dem tiefen Grollen der nächsten Welle hinweggetragen wird.
Von weitem betrachtet wirkt der zusammengesackte Körper des Hotelmanagers wie ein eigentümlich geformtes Stück Treibholz, das in spätestens einer halben Stunde zum Opfer der gierigen Fluten werden wird.
Montag, 22 . August, 20.10 Uhr,
Autozug, Hindenburgdamm
Ungeduldig trommelt Jonas Michelsen auf das lederbezogene Lenkrad seines BMW . Er ist erst vor wenigen Minuten auf den Autozug gefahren, der in regelmäßigen Abständen über den Hindenburgdamm verkehrt und das Festland mit der Insel Sylt verbindet. Obwohl Michelsens Wagen auf dem Oberdeck des Autozuges steht, hat der Hotelier das Schiebedach weit geöffnet. Jetzt ruckt der Zug und fährt an. Sofort beginnt der Fahrtwind kräftig an Jonas Michelsens halblangen Haaren zu zausen. Doch er ist viel zu beschäftigt, um sich daran zu stören. Auf dem Display neben dem Lenkrad steht die Telefonnummer, die er eben schon zum dritten Mal innerhalb der letzten zehn Minuten gewählt hat. Der gleichmäßige Klingelton macht den Hotelier langsam wahnsinnig. Warum hebt sie nicht endlich ab? Er hat doch wirklich Einiges getan, um ihr zu Willen zu sein. Ein bisschen Zuspruch könnte er jetzt gebrauchen, schließlich hat er die Beerdigung Susannes in einem wahren Rekordtempo organisiert. Die Verhandlungen mit dem Catering-Service waren dabei noch das geringste Problem. Erstaunlicherweise fühlte sich ausgerechnet das Bestattungsinstitut terminlich unter Druck gesetzt und erwies sich als wenig flexibel. Und als dort alles geregelt war, musste Jonas Michelsen noch das Gespräch mit dem Gemeindepfarrer hinter sich bringen.
Doch nun ist alles vorbereitet, und wenn Susannes Körper übermorgen in die Sylter Erde versenkt werden wird,
Weitere Kostenlose Bücher