Frauen lügen
glücklicheren Tagen.
»Aber nur einmal im Monat, das weißt du doch.« Vorsichtig tippt Bastian mit dem Finger auf den Belag seiner Pizza. »Zehn Sekunden gebe ich ihr noch zum Abkühlen, dann schalte ich die Mahlwerkzeuge ein und meinen Denkapparat aus.«
»Wir sollten dir für solche Gelegenheiten endlich mal ein Schild schenken:
Hirn wegen akuter Nahrungsaufnahme geschlossen.
«
Silja hat ihre Bemerkung nett gemeint, sie sollte die Situation entspannen und zu einer besseren Gesprächsatmosphäre beitragen. Doch Bastian kriegt den Satz in den falschen Hals.
»Sehr witzig. Aber vorher darf ich vielleicht noch eine Frage zu deinen Ermittlungsergebnissen stellen. In welcher Situation genau hast du die Äußerung von diesem Dachdecker gehört?«
»Er hat telefoniert, und ich habe ihn belauscht. Ohne Zeugen und ohne sein Wissen. Ich stand allein hinter einer Trennwand.«
»Also optimale Vernehmungsbedingungen. Was dieser Niklas Hansen dem Typen am Telefon gesagt hat, kann vor Gericht jederzeit bedenkenlos verwendet werden.«
»Bastian, es ging nicht anders. Was hätte ich denn tun sollen?«
»Nachdenken. Nachfragen, wenigstens jemanden mitnehmen, was weiß ich. Jedenfalls nicht so rumschlampen, nur weil der Typ ein Kerl ist und darum von vornherein nicht in dein feministisches Fahndungsraster passt. War wirklich hochprofessionelle Arbeit, Frau Kollegin. Guten Appetit auch.«
Als Silja aufspringt und das Restaurant verlässt, zieht sich Bastian ungerührt ihren Salat neben die Pizza und setzt seine Mahlzeit fort, als sei nichts gewesen.
Montag, 22 . August, 17.50 Uhr,
Parkplatz am Klärwerk, Rantumbecken
An einem Zaunpfosten schließt Fred Hübner sein Fahrrad an. Hier auf der Ostseite der Insel befindet sich mit der zehn Kilometer langen Rundstrecke ein hervorragender Laufparcours. Und die ziemlich lange Radfahrt bis hinunter zu dem Rantumer Wattgebiet ist nur der Anfang von Fred Hübners persönlichem Fitnessmarathon, dem er sich einmal monatlich unterzieht. Nach dem Joggen schwingt er sich wieder aufs Rad und strampelt zurück nach Wenningstedt. In der Regel braucht er dann für die Strecke erschöpfungsbedingt fast die doppelte Zeit, aber wenn er das gesamte Programm hinter sich hat, fühlt er sich regelmäßig körperlich so gestählt, dass er wochenlang davon profitiert. Und heute ist es genau das richtige Ablenkungsmanöver von dem Einsatz von
Mega-Clean
.
Fred trägt bereits seine Joggingsachen und läuft gleich los, zunächst auf dem Deich, dann am Zaun des Klärwerkes entlang nach Osten, bis er wieder auf den Deich stößt. In den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts hat man das Becken vom Watt abgetrennt, um einen Wasserflughafen zu schaffen, doch bald war der Plan nicht mehr wichtig für die deutsche Wehrmacht, und nach 1945 wollte ohnehin niemand mehr etwas davon wissen. Das Areal verlandete, es entwickelten sich riesige Schilfgebiete, und schließlich stellte man das Rantumbecken unter Naturschutz.
Der hier entlangführende Weg bietet abwechslungsreiche Aussichten, denn in den Kanälen und Teichen, die die Schilfflächen durchziehen, siedeln die unterschiedlichsten Vogelarten. Fred kennt nur einige von ihnen aus Satzfetzen, die er nach und nach im Vorbeilaufen aus den Erklärungen der vogelkundlichen Führungen aufgeschnappt hat. Enten natürlich, die sich regelmäßig im Flachwasser versammeln, aber auch Lappentaucher und Schilfrohrsänger kann er mittlerweile unterscheiden.
Während des Laufens versucht Fred, sich nur auf seine Atmung und die Aktivitäten der Vögel zu konzentrieren. Die quälenden Gedanken an die Dinge, die gerade in seinem Apartment vor sich gehen, lässt er nicht an sich heran, auch wenn das nicht einfach ist. Er läuft zu schnell und er atmet zu hastig, denn es gibt noch etwas anderes, das er aus dem Kopf bekommen muss. Seit ihn am Nachmittag die grazile Kommissarin angerufen hat, weiß er, dass sich seine schlimmsten Befürchtungen erfüllen werden. Am Mittwochvormittag soll seine große Liebe Susanne Boysen neben ihren Eltern auf dem Dorffriedhof beerdigt werden. Direkt vor seiner Haustür.
Fred atmet tief im Takt seiner Schritte. Der salzige Wind füllt stoßweise seine Lungen, der wohlvertraute Geruch von Schlick und Vogelkot beruhigt seine Nerven. Doch die Anstrengungen und der massive Konsum von Beruhigungsmitteln in den letzten Tagen scheinen nicht folgenlos für seinen Organismus gewesen zu sein. Die Muskelstränge seiner Beine sind von ungewöhnlicher
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