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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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sich die Frauen die gleiche Freiheit in sexuellen Dingen herausnahmen wie die Männer. Beides hatte mit der großen Zahl Homosexueller in diesem Kreis zu tun, die bei den Frauen gleichsam die Freundinnenstelle vertraten. Ihre unpatriarchalische Lebenseinstellung und die Vorurteilsfreiheit, die sie Frauen und Künstlerinnen gegenüber an den Tag legten, flößten Vanessa und Virginia mehr Selbstvertrauen ein als die Suffragettenbewegung, deren Militanz und Fanatismus sie eher abstießen. Der Feminismus hat viele Ursprünge; einer davon ist auch die Gemeinschaft von Frauen und homosexuellen Männern. Blickt man auf andere avantgardistische Gruppen dieser Zeit, etwa die deutschen Expressionisten, so trifft man wohl auf eine künstlerische Freiheit und auch eine Freizügigkeit in sexuellen Dingen, die Bloomsbury zumindest ebenbürtig war, aber es blieb doch die Freiheit von Männern, in deren Selbstverständnis Frauen lediglich die Rollen von Muse, Modell und Mätresse zukamen. Sie waren letztlich immer noch dazu da, die künstlerische und die sexuelle Potenz des Mannes gleichermaßen zu stimulieren. Der Kontrast macht zudem auf einen weiteren, entscheidenden Punkt aufmerksam: Künstlerische und sexuelle Freiheit entwickeln sich Hand in Hand – bei Frauen nicht anders als bei Männern.
    Leonard Woolf ging nicht nach Ceylon zurück, wie es ursprünglich sein Plan war, sondern er und Virginia heirateten. Wie seine Erinnerungen überliefern, wurde ihre letztlich glückliche Ehe durch alles Mögliche zusammengehalten – die tiefe Sympathie der beiden füreinander, ihr nicht abreißen wollendes Gespräch miteinander, ihre Liebe zu Büchern, zur Literatur, zur Kunst, in gewisser Weise auch Virginias Krankheit und nicht zuletzt das gemeinsame Drucken und Verlegen – kaum aber durch den Sex. Leonard war wohl ein Mann, an dessen Seite Virginia glänzen konnte, der in ihr aber nicht jenen Glanz entfachte, wie das Frauen wie Vita Sackville-West oder Ethel Smyth vermochten. »Brutal«, so ihr Wort, gestand sie ihm vor der Heirat, dass er keinerlei körperliche Anziehungskraft auf sie ausübe. Über die Freundschaft mit den schwulen Aposteln war Virginia ihre eigene Vorliebe für Erotik mit Frauen bewusst geworden. Statt Kinder zu zeugen – Virginia hätte durchaus gerne welche gehabt, aber die Ärzte und Leonard hatten wegen ihrer seelischen Erkrankung Bedenken –, brachte das Ehepaar Woolf Bücher zur Welt: libri statt liberi .
    Das erste Buch, das Virginia und Leonard Woolf gemeinsam drucken und verlegen, ist eine Broschur von gerade einmal zweiunddreißig Seiten Umfang. Dennoch brauchen sie für die Auflage von hundertfünfzig Exemplaren geschlagene zwei Monate, wobei ihre Tätigkeit wohlgemerkt auf die Nachmittage beschränkt ist. Leonard meint im Nachhinein, der Druck sei »ziemlich ehrenwert für zwei Leute, die sich gerade einen Monat lang im Esszimmer selbst unterrichtet hatten«. Satz, Druck und Farbverteilung seien »wirklich nicht schlecht«. Misslungen ist allerdings die Sache mit dem Registerhalten: Der Satzspiegel der Vorderseite eines Blattes deckt sich nicht mit dem seiner Rückseite. Den Stolz auf die mit eigenen Händen geleistete Arbeit mindert das keineswegs. Für den Umschlag wählen sie ein besonders ungewöhnliches Japanpapier. Die beiden haben lange danach gesucht. Auch später verwenden sie viel Zeit und Sorgfalt darauf, zum Binden ihrer Bücher besonders außergewöhnliche, manchmal auch lustige Papiere aufzutreiben. Sie sind die ersten Verleger, die das tun, und kreieren damit eine regelrechte Mode. Zuweilen lassen sie sogar marmoriertes Papier eigens von Roger Frys Tochter in Paris anfertigen.
    So sah die Titelei des ersten Buches aus der Werkstatt der beiden Eheleute aus:

    Titelblatt von Woolf, Virginia: Two Stories. Richmond 1917
    Das Büchlein enthält je eine Erzählung von Leonard und Virginia – ein Signal, dass die Hogarth Press ein Gemeinschaftsunternehmen und ein Vehikel für eigene Veröffentlichungen ist. Leonards Geschichte trägt den Titel »Drei Juden«. Schon das ist ein Statement, das durchaus bemerkt wird: Leonard ist Jude, und ein gewisser frotzelnder Antisemitismus gehört damals zum guten Ton auch im Freundeskreis der beiden Stephen-Schwestern. (Virginia spricht von Leonard gerne als von »meinem Juden«.) Ihre Geschichte heißt »Das Mal an der Wand« und entsteht erst, als Leonards Text bereits fertig gesetzt und gedruckt ist. Die Verlegerin Virginia hat in gewisser Weise eine

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