Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
mühsame, kleinteilige, aber dennoch befriedigende Arbeit des Setzens einen neuen, aufregenden Zugang zum Prozess des Schreibens. Als sie 1926 vor einer Mädchenschule einen Vortrag über das Thema »Wie sollte man ein Buch lesen?« hält, rät sie ihren Zuhörerinnen, sich ein Buch »als ein sehr gefährliches und aufregendes Spiel« vorzustellen, das von zweien gespielt wird. »Bücher werden aus winzig kleinen Wörtern gemacht, die ein Schriftsteller, oft mit großer Mühe, zu Sätzen von unterschiedlicher Länge anordnet; er setzt einen auf den anderen, lässt sie niemals aus dem Auge, baut sie mitunter sehr schnell, um sie zu anderen Zeiten voller Verzweiflung wieder umzuwerfen und ganz von vorn zu beginnen.«
Nicht nur, dass sie den Schriftsteller hier zu einer Art geistigem Schriftsetzer macht. Sie gibt ihm auch einen Partner auf Augenhöhe an die Seite – den Leser. An ihn ergeht die Einladung, sich das Buch, das er liest, nicht als einen ein für alle Mal festgelegten Gegenstand, sondern als einen Prozess ähnlich dem Schriftsetzen zu denken. »Machen Sie Ihrem Autor keine Vorschriften; versuchen Sie, er selbst zu werden. Seien Sie sein Mitarbeiter und Komplize.«
Als Virginia Woolf 1925 ihre gesammelten literarischen Essays herausbringt, gibt sie dem natürlich in der Hogarth Press erscheinenden Buch den mit Bedacht gewählten Titel Der gewöhnliche Leser . Die Legitimation dafür holt sie sich bei Dr. Samuel Johnson, nach Shakespeare der meistzitierte englische Autor und die Autorität schlechthin in Fragen der Literaturkritik. Johnson, ein Mann des 18. Jahrhunderts, noch vor der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Literatur, hatte sich gefreut, »mit dem gewöhnlichen Leser in Einklang zu sein; denn von dem gesunden Menschenverstand, unverdorben durch literarische Vorurteile, muss, nach allem Raffinement an Subtilität und dem Dogmatismus der Gelehrsamkeit, letzten Endes über allen Anspruch auf literarische Ehren entschieden werden«.
Woolf, Virginia: The Common Reader. London 1925, © Mortimer Rare Book Room, Smith College
1925 gab Virginia Woolf in der Hogarth Press eine Sammlung literarischer Essays heraus: The Common Reader. Der Einband wurde gestaltet von Virginias Schwester Vanessa Bell.
Das ist Wasser auf die Mühlen einer Frau, die nie eine formelle Ausbildung genossen hat, sondern deren Kenntnisse und ästhetische Maßstäbe sich durch wildes Lesen geformt haben. Der gewöhnliche Leser, so befindet sie, unterscheide sich vom Kritiker und vom Gelehrten, sprich dem Literaturwissenschaftler. Er liest zum eigenen Vergnügen und nicht, um Wissen zu vermitteln oder die Ansichten anderer zu korrigieren. Seine Absicht ist es nicht, das Gelesene irgendwie einzuordnen oder zu beurteilen. Vielmehr wird er von dem Verlangen getrieben, seine mehr oder weniger zufälligen Lektüren zu Bestandsstücken des eigenen Lebens zu machen. Sie entrücken ihn der alltäglichen Lebenswirklichkeit und lassen ihn verändert dorthin zurückkehren – womöglich mit einem neuen Blick auf das eigene Leben, das nun nicht mehr als »so und nicht anders« erscheint.
Was ist ein Buch? In Zeiten des aufkommenden E-Books ist die Auffassung verbreitet, ein Buch sei ein Trägermedium für Inhalte (Neudeutsch: Content) – punktum. Wer so argumentiert, weiß: Diese Funktion erfüllt der elektronische Konkurrent genauso, wenn nicht effizienter. Virginia Woolf hätte darin eine unzulässige Geringschätzung des Phänomens Buch gesehen, die von ihm nur noch so etwas wie das Skelett übrig lässt. Sie gehörte zu jenen Buchliebhaberinnen, für die Lesen und Schreiben stets auch sinnliche, beinahe erotische Akte waren. »Die Liebe ist so körperlich, und das Lesen auch«, schrieb sie, die mit der körperlichen Liebe zeitlebens ihre Probleme hatte, für die verzücktes Lesen und entrücktes Schreiben gleichwohl nahezu sexuelle Vorgänge waren, die sie mit Wörtern wie »Vibration«, »Sättigung« oder »Intensivierung« bedenkt.
Ein Buch hat einen Körper, den man berühren muss, um darin zu lesen. Und nicht nur das, man schlägt es auf, blättert es durch, wobei die Seiten ein knisterndes oder klackendes Geräusch machen (je nach Papierbeschaffenheit). Früher, als der Buchblock noch unbeschnitten geliefert wurde, musste man ihn aufschneiden und ließ ihn in ausgesuchte Papiere oder gar in Leder einbinden, wenn man nicht vorzog, das selbst zu tun. Ein Buch verströmt einen Geruch, nicht nur den von Einband, Papier, Druckfarbe
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