Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
zerstört, auf die sich ihrer Meinung nach die zu Ende gehende Epoche stützte.
Roger Fry, der Kurator der Schau, hatte zuvor am Museum for Modern Art in New York gearbeitet. Nach seiner Ankunft in London stieß er rasch zum Kreis der Stephen-Schwestern, wurde zu Vanessas Liebhaber und Virginias entscheidendem Gesprächspartner in ästhetischen Fragen. Er war es auch, der der Ausstellung das Label »Postimpressionismus« anheftete – die erste einer Reihe von Begriffsbildungen mit der Auftaktsilbe Post-, wie wir sie besonders aus dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts kennen: Postmoderne, Poststrukturalismus, Postkolonialismus … Und wie bei Postmoderne wurde ein ursprünglich auf die Kunst gemünzter Begriff rasch zur Epochenbezeichnung und zum Ausdruck eines Lebensgefühls. »Donnerwetter, Roger«, meinte Virginia: »Wir, im postimpressionistischen Zeitalter!«
Als postimpressionistisch galt bald alles, was von dem Bedürfnis geprägt war, gegen die alten, unzeitgemäßen Formen zu rebellieren und neuen Idealen zu folgen. Postimpressionistisch nannte die Presse etwa auch die Suffragetten, die für das Frauenwahlrecht eintraten. Nahegelegt wurde diese Übertragung des Etiketts auch durch eine Koinzidenz der Ereignisse. Am 8. November 1910 wurde die Postimpressionisten-Ausstellung in den Grafton Galleries eröffnet. Am 18. November kam es vor dem britischen Unterhaus zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, nachdem eine Gesetzesinitiative gescheitert war, deren Ziel darin bestand, die Rechte der Frauen auszuweiten. An die hundert bewaffnete Frauen wurden verhaftet, was eine Welle der Gewalt in Gang setzte: Fensterscheiben gingen zu Bruch, Bomben explodierten, und es wurde Feuer gelegt. Die Bloomsberries mischten da nicht mit, waren aber Sympathisanten. Im Februar 1910 hatte sich Virginia Woolf immerhin am Wahlkampf der Suffragetten beteiligt, vor allem indem sie Adressen schrieb.
Ganz so abwegig aber war es in der Tat nicht, die neue Kunst und die Frauenbewegung in einem Atemzug zu nennen. Auch wenn die unter dem Label Postimpressionismus ausgestellten Maler ausschließlich Männer waren, standen ihre Bilder nicht nur für eine neue Malweise, sondern auch für eine veränderte Wahrnehmung der Frau. Der Schock des Neuen hatte beide Male mit der sexuellen Identität zu tun: Die Suffragetten galten ihren Gegnern nicht als Frauen, sondern als »kreischende Schwesternschaft« und die von Manet, Picasso und Matisse gemalten Frauen ihren Kritikern als eine pathologische Erniedrigung weiblicher Schönheit.
Bloomsbury ist so auch der Name für einen radikalen Strich unter das 19. Jahrhundert in Sachen Rolle der Frau. Ein guter Zeuge dafür ist Leonard Woolf, den Virginia 1912 heiratete. Kennengelernt hatten sich die beiden schon in seiner Cambridger Zeit, als die Stephen-Schwestern 1901 ihren Bruder Thoby dort besuchten – begleitet von einer Anstandsdame, wie es sich seinerzeit schickte. Schon damals zeigte er sich von ihrer Schönheit beeindruckt. Drei Jahre später sah er Vanessa und Virginia wieder, nachdem sie gerade nach Bloomsbury gezogen waren. Da befand sich Leonard Woolf jedoch auf dem Sprung nach Ceylon. Äußerst mittelmäßige Examensnoten veranlassten ihn dazu, das berufliche Heil als Kolonialbeamter zu suchen. Als er 1911 zurückkehrt, findet er die Bloomsbury-Welt völlig verändert vor. Man redet einander mit Vornamen an – vorher ein Ding der Unmöglichkeit. Man diskutiert bestimmte Themen und nennt sexuelle Dinge beim Namen, was in Gegenwart von Frauen sieben Jahre zuvor unvorstellbar gewesen wäre. »Am Gordon Square im Juli 1911 war das Neue und Erregende für mich, dass das Gefühl von Vertrautheit und vollständiger Denk- und Redefreiheit viel umfassender war als in Cambridge vor sieben Jahren und dass es vor allem Frauen einschloss.« Bloomsbury war einer der ersten Literaten- und Künstlerzirkel, die mit dem Vorurteil aufräumten, dass Frauen Männern hinsichtlich ihrer intellektuellen und schöpferischen Potenz unterlegen sind. Von den sieben Frauen, die man zum erweiterten Bloomsbury-Kreis zählen kann, waren zwei Malerinnen (Vanessa Bell und Dora Carrington), drei Schriftstellerinnen (Virginia Woolf, Vita Sackville-West und Mary McCarthy), eine Buchhändlerin mit Philosophiestudium (Frances Partridge), eine Balletttänzerin (Lydia Lopokova bei den berühmten Ballets Russes) und eine Mäzenin aus dem Adel (Ottoline Morrell). Darüber hinaus war Bloomsbury auch dadurch einzigartig, dass
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