Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
der Zeit zur Lost und dann zur Bad Bank. »Manche glaubten vielleicht, dass ich mit Ulysses viel Geld verdiente«, bekannte Sylvia Beach in ihrem Buch über Shakespeare and Company. »Aber Joyce muss einen Magneten in seiner Tasche gehabt haben, denn das ganze Geld wollte zu ihm.« Erst nachträglich kam ihr zu Bewusstsein, dass sie nicht nur ein Opfer der Geldgier von Joyce, sondern auch des ökonomischen Unvermögens war, das sie mit ihrem Autor teilte. Fast auf den Tag genau zehn Jahre, nachdem sie James Joyce an seinem vierzigsten Geburtstag das erste Exemplar des Ulysses überreicht hatte, fasste Sylvia Beach 1932, in einer Phase zunehmender Entfremdung von ihrem Autor, den Entschluss, sämtliche Ansprüche auf die Nutzungsrechte am Ulysses aufzugeben und sich aus der Verlegerei zurückzuziehen. Es war eine so bittere wie plötzliche Entscheidung, die sie indes auch von dem mit jeder Neuauflage des Ulysses sich erneut einstellenden Glauben kurierte, sie würde nun doch Gewinn machen. Nun musste sie einsehen, dass die Aufgabe des Ulysses keineswegs zu der befürchteten finanziellen Katastrophe führte, sondern dass es im Gegenteil die durch ihn genährte trügerische Hoffnung gewesen war, die sie stets aufs Neue an den Rand dieser Katastrophe gebracht hatte. Ihre Geschäfte gingen auch ohne den Ulysses – zwar auf niedrigerem finanziellem Niveau, aber mit der erfreulichen Folge eines sinkenden Stresspegels.
Doch der Stresspegel stieg bald wieder, und dieses Mal waren die Ursachen globaler Natur. Im Oktober 1929 war nicht nur die Odéon-Börse, sondern, viel schlimmer, die amerikanische Börse zusammengebrochen. »Fall of the wall«, nannte Sylvia Beach den Wall Street Crash. Waren in den 1920er Jahren Schiffsladungen von Studenten und Künstlern (Möchtegern- wie ernsthaften) aus Amerika nach Paris gelangt, um hier in den Genuss der Freizügigkeit des Lebensstils, des billigen Geldes und des unbeschränkt fließenden Alkohols zu kommen, so setzte nun der große Rückzug ein: Die amerikanische Kolonie in Montparnasse löste sich auf, die im Winter von Kohleöfen gewärmten Plätze auf den Café-Terrassen verwaisten, und auch die Kundschaft von Shakespeare and Company dünnte aus. Nachdem sie sich jedoch in einem Befreiungsschlag die Verantwortung für den Ulysses wie für seinen anstrengenden Autor vom Hals geschafft hatte, kam Sylvia Beach nun dazu, den Laden zu renovieren, neue Regale aufzustellen und verstärkt in Werbung zu investieren. Und siehe da: Der allgemeinen Depression zum Trotz stieg der Umsatz zeitweilig sogar.
Schon den Zeitgenossen ist aufgefallen, in welchem Ausmaß Joyce Frauen für seine Zwecke einsetzte. Nehmen wir Adrienne Monnier mit hinzu, die im Mai 1931 durch einen geharnischten Brief an Joyce dem sich abzeichnenden Bruch zwischen dem Autor und seiner Verlegerin den letzten Stoß gab, so haben wir fünf von ihnen in diesem Kapitel kurz kennengelernt: zwei Pärchen und eine ewige Single-Frau. Bei aller individuellen Verschiedenheit weisen die fünf Frauen über ihre Leidenschaft für Bücher, vorzüglich für die rebellische Avantgardeliteratur und einen ihrer zentralen Vertreter, hinaus weitere gemeinsame Züge auf. Der auffälligste davon ist sicherlich der, dass sie Männern in Liebesdingen aus dem Weg gingen, um ihnen in literarischer Hinsicht desto näherzukommen. Was Harriett Shaw Weaver und Sylvia Beach für Joyce leisteten, trug schon Züge eines Liebesdienstes. Die Freiheit von Männern, die sie sich nahmen, versetzte sie in die Lage, den bedrohlichen Konventionen, unter denen sie noch aufgewachsen waren, zu entkommen und traditionelle Männerprivilegien an sich zu reißen, insbesondere das der persönlichen und beruflichen Selbstentfaltung. Wie vorläufig dieser Prozess war und welche Hürden dabei zu nehmen waren, wird dadurch deutlich, dass sie sich in literarischen Dingen dann doch wieder an einem Mann und seinem Meisterwerk orientierten – einem Autor und einem Buch allerdings, die alle Züge von Dissidenz aufwiesen. Joyce war ein radikaler Außenseiter des Literaturbetriebs, der das Bildungsbürgertum mit Spott überzog, und sein Ulysses ein Monstrum, »Dynamit« (Leonard Woolf), eine »gedruckte Explosion«, das Buch eines Feindes Gottes (Paul Claudel). Die Obszönität, die dem Buch vorgeworfen und derentwegen es jahrelang mit Publikationsverboten überzogen wurde, war nur das sichtbarste Zeichen seiner Andersartigkeit und seines Verstoßes gegen die gängigen
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