Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Sexbombe
Es ist einer der Höhepunkte der an außergewöhnlichen Begegnungen nicht gerade armen Geschichte der Fotografie: Am Abend des 6. Mai 1957 betritt Marilyn Monroe das Studio des Fotografen Richard Avedon auf der New Yorker Madison Avenue. Avedon, nur drei Jahre älter als die Monroe, ist selbst ein Star, allerdings steht er auf der anderen Seite der Kamera. Seine Modefotos sind so begehrt wie seine Porträts; die einen wegen ihrer unübertroffenen Eleganz und Originalität, die anderen aufgrund ihrer unerwarteten Offenheit.
Kaum Mitte dreißig, ist er bereits so berühmt, dass Hollywood sein Leben verfilmt. Ein süßer Fratz basiert auf einem damals dreißig Jahre alten Musical von George und Ira Gershwin, aber die Figur des Dick Avery, verkörpert von Fred Astaire, ist unverkennbar nach Avedon gestaltet. Dick Avery, angetrieben von seiner Chefin Maggy Preston, der Herausgeberin einer Mode-Zeitschrift, ist auf der Suche nach dem neuen zeitgemäßen Frauentyp, der quality woman , die beides hat: Schönheit und Intelligenz, Ausstrahlung und Geist. Er findet ihn schließlich in Greenwich Village – in der unscheinbaren Buchhändlerin Jo Stockton, verkörpert von Audrey Hepburn. Doch die lehnt die Modebranche prinzipiell ab und will lieber ihren Büchern treu bleiben. Erst als sie erfährt, dass die Aufnahmen in Paris gemacht werden sollen, willigt sie ein; denn dort lebt und lehrt ihr großes Vorbild, der Philosoph Emile Flostre, Begründer des »Empathikalismus«, dessen glühende Anhängerin sie ist – eine zugegebenermaßen etwas billige Parodie auf Sartre und den Existenzialismus. Der sich anbahnende Konflikt zwischen Empathie und Egomanie, der beschaulichen, übersichtlichen Welt der Bücher und der oberflächlichen, hektischen Glitzerwelt der Mode löst sich jedenfalls, wie kaum anders zu erwarten, bald auf, indem sich Buchliebhaberin und Fotograf ineinander verlieben – natürlich in der Stadt, die auf allen drei Säulen zugleich steht: Geist, Mode und Liebe.
So weit die mit dem Klischee einfacher Gegensätze arbeitende Traumwelt des Kinos. Die Realität zeigt sich an besagtem Maiabend jedoch ganz anders, Avedon weiß sich auf die sich vor seiner Kamera verausgabende Marilyn keinen Reim zu machen. Ihr eilt der Ruf voraus, die verführerischste Frau der Welt zu sein. Aber Marilyn Monroe kann schrecklich schüchtern sein, und rasch wird Avedon klar, dass, abgesehen von der Fixierung aufs Aussehen, Welten zwischen ihr und einem Model liegen, das von keines Gedankens Blässe angekränkelt wird. (Avedon pflegt Models, deren Gesichtsausdruck ihm eine Spur zu leer vorkommt, freundlich vorzuschlagen: »Hab einen kleinen Gedanken!«) Obwohl sie gar nicht danach aussieht, steckt in dieser Ikone weiblicher Verführungskraft eine gehörige Portion Jo Stockton, der »emphatikalistischen« Buchliebhaberin aus dem Village. Wie viele seiner Kollegen zeigt sich Avedon davon überrascht, dass diese Schönheit echte literarische Interessen und darüber hinaus einen umwerfenden Witz besitzt, das, was die Franzosen Esprit nennen. Nur dass Ausgangs- und Endpunkt hier irgendwie vertauscht sind: Diese Marilyn ist hungrig nach einer Welt, in der ein Mädchen wie Jo selbstverständlich zu Hause ist. Der einzige Boden, den sie unter den Füßen hat, ist, wie sie selbst sagt, ihre Arbeit. Dabei strahlt sie eine ungeheure Präsenz vor der Kamera aus, eine Form kontrollierter Selbstvergessenheit, so widersprüchlich wie ihre gesamte Erscheinung.
Sehr zur Irritation insbesondere ihrer männlichen Fans ließ sich die Monroe gerne als Leserin fotografieren. Während sie sonst mit ihrem offenen Blick die Kamera gleichsam einfängt und dem Betrachter der Fotos suggeriert, sie posiere für ihn, und nur für ihn, gilt zu seiner Enttäuschung ihre gesamte Aufmerksamkeit auf diesen Bildern dem Buch. Dass diese gar nicht so seltenen Aufnahmen, die sie vertieft in die Lektüre von Klassikern der Weltliteratur und zeitgenössischen Romanen zeigen, lange Zeit nicht die gebührende Beachtung beim Publikum und auch bei den Medien fanden, mag auch mit der Unmenge von Fotos zu tun haben, die von ihr kursieren. Der entscheidende Filter, der die Aufmerksamkeit steuerte, war aber doch das Bild, das Hollywood von ihr geprägt hatte. Spätestens seit dem Film Blondinen bevorzugt war sie auf die Rolle der Verführerin festgelegt, die es auf Männer mit Geld abgesehen hatte und so wenig echtes Gefühl wie Geist besaß. Eine Bücher lesende Sexbombe
Weitere Kostenlose Bücher