Frauenbataillon
Antwort, sondern nehme dich in die Arme und küsse dich …«
»Frieden!« Ihr schönes, ovales Gesicht zeigte keine Regung, der Blick ging an ihm vorbei. »Aber es ist Krieg! Wir hassen uns! Wir müssen uns töten!« Sie schob seine Hand von ihrem Gewehr und zog die Waffe an sich. »In einem Jahr wäre ich eine Zahnärztin gewesen, aber da seid ihr gekommen …«
Ursbach beugte sich über Plötzerenke, legte ihm das zerfetzte blutige Hemd über den Kopf und stand auf. Auch Lida erhob sich, sie war fast ebenso groß wie Ursbach. Lautlos ging sie in den dicken Socken vor ihm her, leichtfüßig und geradezu beschwingt, und er starrte sie an wie ein fleischgewordenes Wunder. An der Tür blieb sie stehen und drehte sich wieder um.
»Gibt es bei euch einen, der eine Strickmütze überzieht, wenn er auf Menschenjagd geht?«
Ursbach zögerte. Das muß Hesslich sein, dachte er. Eine Strickmütze gehörte zu seiner Ausrüstung, ich habe sie bei ihm gesehen. »Ja«, antwortete er vorsichtig. »Was ist mit ihm?«
»Du kannst ihn warnen. Alle hassen wir ihn, am meisten Stella Antonowna!«
»Wer ist Stella Antonowna? Bist du es?«
»Nein, ich bin Lida Iljanowna.«
»Lida.« Ursbach verbeugte sich leicht. »Ich heiße Helge Ursbach …«
»Wen geht das etwas an?« sagte sie kalt und abweisend, aber ihre blauen Augen verrieten, daß sie eigentlich etwas ganz anderes hätte sagen wollen.
»Was ist mit dieser Stella?«
»Sie ist die beste Schützin der Sowjetunion. Sie hat geschworen, diese Strickmütze zu besiegen.«
»Ich werde es ihm bestellen.« Ursbach kam ein paar Schritte näher. »Liebe schöne Kollegin von der Zahnmedizin …«
»Bleib stehen!« Ihre Stimme war trotz der Härte unsicher und schwankend. Sie hob das Gewehr und richtete den Lauf auf Ursbachs Bauch. »Bleib sofort stehen! Stoj!«
»Du wirst nicht schießen.«
»Woher weißt du das so sicher, he?!«
»Deine Augen rufen es mir zu …«
Ihr Gesicht wurde ausdruckslos und starr. Nur ihre Lippen bewegten sich kaum sichtbar. »Du bedrohst mich. Auch … Auch Ärzte erschießen wir, wenn sie uns bedrohen …«
Ursbach blieb nahe vor ihr stehen, schob mit der Hand den Gewehrlauf zur Seite und streichelte ihr mit der anderen Hand über die Haare und die Wange. Er spürte, wie sich ihre Muskeln verkrampften. Sie schien zu erstarren. Die Lippen waren fest zusammengepreßt, aber ihre Augen funkelten hell. Noch einmal glitt Ursbachs flache Hand über ihr Gesicht, zeichnete die Konturen ihrer Augen, ihrer Nase, ihres Mundes und ihres Kinns nach. Am Hals hielt er inne; wagte nicht den Weg herab zu ihrer Brust. Als er die Hand zurückzog, stieß sie den angehaltenen Atem ruckartig aus. Ihre Nasenflügel bebten.
»Fritz Plötzerenke« – Ursbach deutete mit dem Daumen über seine Schulter nach hinten – »Fritz Plötzerenke hat Schanna ehrlich geliebt. Auf seine Art, natürlich. Er hat alles Menschenmögliche für sie getan, und nun sogar sein Leben für sie gegeben. Schanna wird da ganz anders gedacht haben. Sie war eine von ihm mißbrauchte Gefangene. Die Welt um uns herum ist total verrückt und aus dem Gleichgewicht geraten. Wir alle sind nur mehr Opfer. Aber warum klagen wir? Wir sind ja an diesem Irrsinn selbst beteiligt. Wir sehen Blut und Ruinen, Feuer und Chaos, und Millionen Menschen auf deiner und auf meiner Seite sterben und werden noch sterben, ohne sich die Frage zu stellen: Warum?!«
»Wir wissen warum! Wir sterben, um unsere Heimat zu retten!« Ihre Stimme klang gepreßt, die Lippen bewegten sich kaum.
»Schließen wir für ein paar Minuten, nein, nur für eine einzige Minute, die Augen und seien wir nur wir selber – zwei einzelne Menschen, fernab von jeder Realität.«
»Warum? Was ist eine Minute?«
»Mach die Augen zu, Lida …«
»Nein!«
»Bitte …«
»Was willst du? Ich traue dir nicht …«
»Schließ die Augen und denke: Es ist Sommer in Moskau. Ich liege am Ufer der Moskwa, die Sonne ist heiß, das Wasser plätschert ans Ufer, ein weißes Ausflugsschiff gleitet vorüber, man hört Musik und fröhliche Lieder und eine tiefe Sehnsucht ist da nach Umarmung, nach Liebe, nach Erfüllung, nach Glück … Und auch ich schließe die Augen und denke mir: Ich liege im weißgoldenen, staubfeinen Ostseesand … Das Meer leuchtet blau unter dem wolkenlosen Himmel. Über den Strandburgen und den Körben flattern Fähnchen, im flachen Wasser planschen Kinder. Und dann strecke ich meine Hand aus und spüre dich, deine Haare, die glatte
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