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Frauenbataillon

Frauenbataillon

Titel: Frauenbataillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ursbach riß ihm das Hemd vom Leibe und versuchte vergeblich, ihn auf den Bauch zu drehen, um die beiden Ausschüsse im Rücken zu sehen. Plötzerenke war jedoch zu schwer. Sie schießen nicht, dachte Ursbach und spürte, wie seine Nackenhaare sich sträubten und seine Haut wie unter einem Eishauch schauderte. Etwa deshalb, weil ich ihnen den Rücken zudrehe? War das der verdammte Ehrenkodex der Scharfschützen, von dem Peter Hesslich erzählt hatte? Nicht in den Rücken! Der Gegner muß dich ansehen! Du mußt ihm in die Augen blicken können. Ursbach hatte das für eine ausgesprochene Pervertierung des Tötens gehalten, für kalte Unmenschlichkeit und beispiellose Arroganz: Nur der Treffer zwischen die Augen ist ein stolzer Schuß! O Himmel, denken diese Mädchen etwa tatsächlich so?
    Plötzerenke verfiel gleichsam von Atemzug zu Atemzug. Sein Gesicht erbleichte und wurde gelblich. Er schrumpfte gewissermaßen in sich zusammen, als verlasse ihn mit der Luft, die jetzt aus diesen zwei Löchern in der Brust entwich, seine gesamte Kraft. Die zerfetzte Lunge arbeitete verzweifelt pfeifend, röchelnd, rumpelnd und verwandelte das sie durchströmende Blut in Schaum.
    Fritz Plötzerenke verblutete innerlich. Ursbach sah ihn ernst an, streichelte sein zuckendes Gesicht.
    Plötzerenke verstand. Er, der Kraftmensch, der bisher alle Probleme mit seiner Faust gelöst hatte, dessen gutes Leben von seiner körperlichen Stärke geprägt war, war nun vollkommen hilflos. Auch der Unterarzt vermochte hier nichts mehr zu tun. Er streichelte ihn, so wie man einen Hund streichelt, der die tödliche Injektion bereits erhalten hat und noch immer treu und liebevoll seinen Herrn ansieht.
    Die Zärtlichkeit des endgültigen Abschieds.
    Plötzerenke wollte sprechen, und seine Lippen formten sich unter dem Blutschaum. Er glaubte sogar seine Stimme zu hören, obgleich sie in Wirklichkeit keine Worte mehr artikulieren konnte.
    ›Wo ist Schanna?‹ fragte er. ›Haben sie Schanna erschossen? Kümmern Sie sich um Schanna, Herr Unterarzt, nicht um mich … Die Weiber lassen Sie leben, gut, was? So 'ne Binde mit dem roten Kreuz, die macht was aus! – Gehen Sie zu Schanna. Sie brauchen nicht bei mir zu sitzen. Ich habe keine Schmerzen, gar keine. Mir ist nur kalt. Verrückt, was? Saumäßig kalt. Vor allem in den Beinen …‹
    Er röchelte und Ursbach nickte, streichelte ihm wieder über das Gesicht und überlegte, ob er die Narkose, die für Schanna bestimmt war, nicht Plötzerenke geben sollte.
    Hinter sich hörte er die halblauten, aber sehr erregten Stimmen der Mädchen. Lida, Marianka und Wanda hatten Schanna umringt. Die Babajewa hatte den Kopf an Marianka gelehnt und weinte still vor sich hin.
    »Kannst du gehen?« fragte Lida. »Keine vielen Worte, Schanna … dazu ist später Zeit genug! Keine Erklärungen! Wir werden dich tragen …«
    »Soja Valentinowna schickt euch?« fragte die Kranke und schluchzte.
    »Nein. Wir sind Freiwillige. Soja hätte dich nie geholt, auch nach deinen Lichtzeichen nicht!«
    »Ich bin ausgestoßen, nicht wahr?«
    »Du wirst viel zu erklären haben, Schanninka.«
    »Ich … ich muß zehn Deutsche töten, um wieder zu euch zu gehören.«
    Als Plötzerenke röchelnd aufschrie, preßte sie die Hände gegen die Ohren. »Einen … einen habe ich euch geliefert.« Und nun schrie auch sie, und ihre schwarzen Augen traten weit aus den Höhlen. »Tötet ihn doch!« brüllte sie. »Warum tötet ihr ihn nicht?! Er lebt ja noch, ihr blinden Krähen, ihr erbärmlichen Stümper! Was soll man von euch denken?! Er lebt ja noch …«
    »Bringt sie weg«, sagte Lida Iljanowna und nickte Marianka und Wanda zu. »Ich komme sofort nach. Was noch zu tun ist, übernehme ich.«
    Marianka und Wanda halfen Schanna auf und stützten sie. Sie war sehr schwach, daß sie kaum stehen konnte, und dennoch stark genug, um zwei Schritte auf Plötzerenke zuzugehen. Stumm sah sie ihn an – das gelbe Gesicht, das immer kleiner wurde, der Blutschaum auf Mund und Hals, die blutbespritzte breite Brust mit den beiden Einschüssen. Plötzerenkes Füße zuckten, die Hacken schlugen auf den Boden. Er fühlte, wie er innerlich gleichermaßen verbrannte und vereiste. Jetzt wandte er seinen Blick von Ursbach ab und entdeckte Schanna. Sekundenlang sahen sie einander an, und dann verzog sich Plötzerenkes Mund zu einem schauerlichen Grinsen, das nichts anderes war als ein glückliches Lächeln, mit dem Fritz von Schanna Abschied nahm.
    Sie steht … sie lebt

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