Frauenbataillon
Deutschland transportiert, und der Krieg geht erst einmal ohne dich weiter. Monate werden vergehen – und wer weiß, was in diesen Monaten alles geschieht? Kann sein, daß wir dann den Krieg gewonnen haben und euch vor uns hertreiben. Und du wirst überlebt haben, wäre das nicht schön?! Und leben sollst du, lange, lange sollst du leben …
Pjotr, sei kein Held mehr. Wozu denn noch? Ihr habt den Krieg längst verloren, ihr wißt es bloß noch nicht. Hoffentlich bist du nicht unter den Hunderttausenden, die noch sterben müssen für eine Lüge …
Sie nahm ihre Abendverpflegung in Empfang, ging hocherhobenen Kopfes an Sibirzew vorbei und setzte sich in der warmen Sommerdämmerung in eine Nische des Grabens, um zu essen. Auch Lida Iljanowna, Marianka Stepanowna und die dickhüftige, schwere Naila Tahirowna setzten sich zu ihr. Später kam noch die kleine Antonina dazu, das zarte Vögelchen aus Ulan-Ude, und sie kauten ihr Brot, strichen die Marmelade darüber und tranken süße Limonade. Russische Limonade ist etwas Köstliches! Im Frieden zogen die Limonadenverkäufer mit ihren Kesseln durch die Straßen der Städte oder konkurrierten auf den großen Plätzen mit den Eisverkäufern und den Waffelbäckern.
»Ich habe da vorhin etwas aufgeschnappt«, sagte Lida Iljanowna und sah sich um, als verrate sie ein großes Geheimnis. »Ugarow und Soja Valentinowna sprachen darüber. Die Ruhe ist vorbei! Unsere Artillerie steht bereit, die Luftflotte auch. Großes scheint auf uns zuzukommen, Ugarow hat es vom Regiment erfahren. Paßt auf … es wird Alarm geben.«
Was wirst du deinen Leuten sagen, wenn du zurückkommst, Pjotr? dachte Stella und kaute an einer glitschigen Stulle. Wo ist dein Gewehr geblieben? Wird es dir gelingen, eine glaubhafte Erklärung zu finden? Und deine Strickmütze? Wirst du dir eine neue machen lassen?
Sie atmete tief ein, spürte die Wolle zwischen ihren Brüsten und preßte die Lippen zusammen. Ihr war, als glitte seine Hand über sie.
Lauf weg, Pjotr, dachte sie. Lauf … lauf … rette dich … Unsere Armeen werden stürmen, Pjotr, versuche nicht mehr, ein Held zu sein …
Als Peter Hesslich endlich aus seiner Besinnungslosigkeit aufwachte, war es zu spät, um noch zurückzukehren. Am Horizont zogen schon die ersten blassen Streifen auf, die Nacht wurde fahlgrau, in spätestens einer halben Stunde würde es hell sein. Kurz waren diese Sommernächte, und die Sonne ging schnell auf am Morgen.
Jetzt noch zum Donez zurückzugehen, wäre zu gefährlich. Obwohl es eine warme Nacht war, die jetzt zu Ende ging, fror er. Er sprang auf, machte ein paar Lockerungsübungen und zog seine Kleidung wieder an. Dann ging er hinüber zu dem dicken Baum, betrachtete die Trümmer der beiden Gewehre und schleuderte die einzelnen Stücke in den Wald hinein. Jetzt erinnerte er sich daran, daß er seine Strickmütze abgestreift und ins Gras gelegt hatte, als er Stellas Wunden verbinden wollte.
Aber im Gras fand er sie nicht, so aufmerksam er auch die ganze Umgebung absuchte. Da wurde ihm klar, daß sie seine Mütze mitgenommen haben mußte.
Hesslich setzte sich an den Waldrand und beobachtete das Aufsteigen der milchigblassen Sonnenscheibe, die sich erst rötete, als sie die Linie des Horizonts voll überschritten hatte. Ein echtes Morgenrot blieb jedoch aus. Dunst stieg aus der Steppe, vom Donez her wehten Morgennebel, weil die Sonne sofort den Nachttau und Wasser aus der Flußniederung aufzusaugen begann. Der Himmel verschwamm in weißblauer Unendlichkeit.
Ich lebe, dachte Hesslich. Damit war eigentlich nicht mehr zu rechnen, zumindest nicht von dem Moment an, als sie anfing mich zu würgen und mir mit beiden Daumen den Kehlkopf eindrückte, so daß eine Gegenwehr unmöglich war. Als ich begriff, was sie vorhatte, war es schon zu spät. Immerhin, ich lebe noch. Aber abgesehen davon, daß ich gerne lebe, hast du einen Fehler gemacht, Stella Antonowna. Im Grunde sollte ich nicht mehr leben! Was haben wir denn dadurch gewonnen, daß wir weiterleben? Die Probleme sind geblieben. Genau wie bisher auch werden wir uns gegenüberliegen und verpflichtet sein, einander zu töten. Ob wir das noch können? Um ehrlich zu sein, Stella: Ich kann es nicht mehr! In dieser Nacht ist etwas Ungeheures geschehen: Ich bin nicht mehr allein! Du bist bei mir, in mir … Das klingt bombastisch, kitschig, sentimental, man mag es nennen, wie man will, die Tatsache bleibt: Bei jedem Atemzug atmest du mit …
Er stand auf, kehrte an
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