Frauenbataillon
Vinzenzo!« Oberst Bartollini blieb skeptisch. Diese jungen Stabsoffiziere! Kommt da aus Mailand, vollgestopft mit Akademiewissen und heiliger Theorie, war ein paar Monate in Griechenland an der Front und dann kurze Zeit in Nordafrika, aber von Rußland hat er keine Ahnung. Glaubt, der Krieg sei überall gleich. Wo geschossen wird, ducken und zurückschießen, und wenn man sieht, daß man der Schwächere ist, zusehen, daß man irgendwie aus der Klemme herauskommt. So einfach ist der Krieg … »Die deutsche Delegation ist zur Stabsbesprechung hier und nicht, um den Graben zu besichtigen.«
»Es war der freiwillige Entschluß der Herren, Herr Oberst.«
»Nachdem Sie ihnen die süße Waffel vor die Nase gehalten haben! Natürlich beißen die dann rein! Vinzenzo, die Verantwortung tragen Sie.«
Major Vinzenzo kam nicht dazu, den deutschen Kameraden zu folgen. Nach dem Regiment rief noch die Division an. Woanders hatte ein Stoßtrupp einige Gefangene gemacht. Ihre Verhöre ergaben ein erschreckendes Bild von der Frontlage. Da Stalingrad für die Sowjets keine großen Probleme mehr aufwarf und keine Truppen mehr band, marschierten in der Don-Steppe ausgeruhte, frische Armeen zum Sturm gegen die dünnen deutschen Linien auf. Es konnte sich nur um wenige Tage handeln, bis die Feuerwalze losgelassen wurde. Die Aussichten waren trostlos.
Vinzenzo blickte auf, als Hauptmann Langhesi in den Bunker stolperte und sich schwer atmend, mit pfeifenden Lungen, an die abgestützte Erdwand lehnte. Draußen hörte man rasche Schritte und laute Rufe. Vinzenzo schluckte krampfhaft.
»Danke – «, sagte er ins Telefon. »Ende.« Dann legte er den Hörer auf und holte tief Luft. »Was ist passiert, Langhesi? Mein Gott, sprechen Sie es nicht aus …«
»Scharfschützen.« Langhesi rutschte an der Wand hinunter auf einen Hocker. »Es klang wie ein Schuß.«
»Es klang …«
»Aber es waren drei.«
Vinzenzos Herz wurde kalt, als sei es zu Eis gefroren. Die Gestalt Hauptmann Langhesis verschwamm vor seinen Augen, zerfloß wie ein Bild im Wasser. »Wollen Sie damit sagen …«, flüsterte er.
»Ja. Kopfschüsse. Alle drei.«
»Und warum leben Sie noch? Woher nehmen Sie die Frechheit, hier zu sitzen?!«
Hauptmann Langhesi wischte sich über das Gesicht. Seine Hände bebten. Ihm war speiübel. »Vielleicht lag ich im falschen Winkel … ich weiß es nicht. Ich rollte mich sofort zur Seite … Der vierte Schuß ging knapp über mich hinweg … Es hing an einer Sekunde.«
»Sie hätten diese eine Sekunde warten müssen!« sagte Vinzenzo müde. »Mein Gott, was machen wir jetzt?«
»Ich lasse die Toten gerade holen. Melden … melden Sie den Vorfall weiter? Oder soll ich das übernehmen?«
»Ich spreche mit dem Generalkommando.« Vinzenzo erhob sich, ging an Langhesi vorbei und trat ins Freie. Ein paar Soldaten des Kompanietrupps, die gerade Holz hackten, fuhren hoch und standen stramm. Unter einem Holzdach qualmte die Feldküche. Es roch nach Bohnensuppe. Der Hauptfeldwebel der Kompanie diskutierte vor dem Schreibstubenbunker mit vier vermummten Soldaten die neue Lage: Drei deutsche Stabsoffiziere einfach weggeknipst! So ganz nebenbei, in einer völlig ruhigen Stellung. Madonna mia, das gibt noch ein Nachspiel! Der Kompaniechef war schon mit einem Trupp und drei flachen Ziehschlitten unterwegs, um die Toten zu holen.
Als er Major Vinzenzo bemerkte, schwieg der Hauptfeldwebel sofort und verdrückte sich in seinen Schreibstubenbunker.
Sie tragen die Verantwortung. Sie haften mir für alles!
Vinzenzo schloß die Augen und spürte die Kälte nicht, die seinen ungeschützten Kopf sofort mit winzigen Eiskristallen überzog. So ist das nun, Mama, dachte er mit Wehmut im Herzen. In Mailand, an dem Bahnsteig, hast du gesagt: ›Mein kleiner Angelino, komm gesund wieder. Du bist doch jetzt im Generalstab, du brauchst doch nicht mehr an die Front. Halte dich immer in der Nähe von deinem General auf … die meisten Generäle überleben einen Krieg. Denk daran, du mußt Papas Geschäft übernehmen. Du willst doch nicht Soldat bleiben, oder? So ein großes Eisengeschäft gibt es in Mailand nicht wieder. Denk daran, Angelino … immer beim General bleiben, da bist du sicher!‹ Und dann hatte sie seine Hand festgehalten, war neben dem Abteilfenster hergelaufen, bis es ihre Beine nicht mehr schafften, hatte mit beiden Armen gewunken und geweint hatte sie, und er hatte dieses Bild mitgenommen nach Rußland – das Bild der kleinen tapferen Amelia
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