Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
ökonomische Seite, auf eine «Brotfrage» reduziert, war das große Thema der Zeit. Überall im Land entstanden Frauenbildungs- und Erwerbsvereine, die sich bald unter dem Dach der sog.
Lette-Vereine
wiederfanden. Sie richteten sich vorrangig an die Frauen der gehobenen Stände und des Mittelstands. Dagegen waren die in den Fabriken und in der Landwirtschaft beschäftigten «Handarbeiterinnen, Dienstboten, Wäscherinnen und dergleichen …» in den Statuten ausdrücklich ausgenommen. Die angebotene Qualifizierung diente der Ausbildung für die kaufmännischen, technischen und gewerblichen Berufe. Die Leitung war grundsätzlich in den Händen von Männern, Honoratioren, die zu wissen meinten, worin das Wohl der Frauen bestand. Denn so hatte Lette in seiner Denkschrift erklärt: «Was wir nicht wollen und niemals, auch nicht in noch so fernen Jahrhunderten wünschen und bezwecken, ist die politische Emanzipation und Gleichberechtigung der Frauen. Wenn sogar der berühmte englische Nationalökonom John Stuart Mill das aktive und passive Wahlrecht zu vindizieren geneigt ist, so befindet er sich im Widerspruch, wie mit den tausendjährigen Einrichtungen aller Staaten und Völker, so auch mit der Natur und Bestimmung des Weibes und mitewigen Gesetzen der göttlichen Weltordnung …»(zit. n. Gerhard 1990, 38).
Nach dem Sieg über Frankreich und der Reichsgründung sollte den für ökonomische Selbständigkeit und Emanzipation wirkenden Frauenvereinen noch stärkere Konkurrenz in den
Vaterländischen Frauenvereinen
erwachsen. Im Krieg gegen Dänemark 1866 hatte die preußische Königin Augusta – in Anlehnung an die von Florence Nightingale im Krimkrieg entwickelte Kranken- und Lazarettpflege, die zur Gründung des Roten Kreuzes führte – einen Zusammenschluss der in verschiedenen Staaten und Städten des Bundes in der Kranken- und Armenpflege tätigen Frauenvereine zu einem
Vaterländischen Centralverein
durchgesetzt. Diese «Armee der Kaiserin», wie sie im Nachhinein genannt wurde, war damit gut gerüstet für den Krieg mit Frankreich. Um die im Dienst für «Gott, Kaiser und Vaterland» bewährten Kräfte auch für Friedenszeiten zu sammeln, wurde der Verband 1871 unter dem Protektorat der Kaiserin und unter dem Abzeichen des Roten Kreuzes nach einem militärisch strengen und autoritären Reglement neu organisiert. Der Vorstand wurde von der Kaiserin ernannt und bestand vorwiegend aus Männern, Generälen und Geheimen Regierungsräten etc., die weiblichen Vorstandsmitglieder kamen aus dem Adel. Wie einflussreich sie agierten, mag ein Vergleich der Mitgliederzahlen andeuten. Während die Lokalvereine des
ADF
in den 1880er Jahren insgesamt allenfalls 12.000 Mitglieder mobilisieren konnten, zählten die «Vaterländischen» zur gleichen Zeit 150.000 Beitrag zahlende Frauen. Ihre Zahl stieg bis zum Beginn des Weltkrieges auf etwa eine halbe Million (Greven-Aschoff 1981, 148). Auch diese konservativ-reaktionären Vereine sind somit Teil der Frauengeschichte, jedoch mit den Vereinen der Frauenbewegung und ihren emanzipatorischen Zielen hatten sie nichts zu tun.
Arbeiter- und Frauenbewegung
Die Tatsache, dass sich das deutsche Kaiserreich auf einen militärischen Sieg, feudale Eliten und eine zunehmend repressive Klassenherrschaft stützte, musste auch die bürgerliche Frauenbewegung beeinflussen, führte nach 1871 zu einer Wachablösung ihrer Führungsriege und befestigte nicht zuletzt die Trennlinie zwischen den Arbeiterinnen und bürgerlichen Frauenvereinen. Als sich in den 1860er Jahren auch die Arbeiterbewegung neu formierte, hatte man noch Grußadressen zwischen den
Vereinstagen deutscher Arbeiter
und dem
Allgemeinen Deutschen Frauenverein
ausgetauscht. Doch die Differenzen wurden unvermeidlich, weil auch die frühe Arbeiterbewegung, sowohl der 1863 unter der Führung Ferdinand Lassalles gegründete
Allgemeine Deutsche Arbeiterverein
als auch die 1864 in London gegründete
Internationale Arbeiterassoziation,
entgegen der Marx’schen These vom Verfall «des alten Familienwesens» und einer notwendig neuen ökonomischen Grundlage «für eine höhere Form der Familie und das Verhältnis beider Geschlechter», bürgerlichen Familienidealen folgte und für die Beschränkung, ja oft genug sogar für das Verbot der Frauenarbeit als «Schmutzkonkurrenz» eintrat. Da hieß es in einer deutschen Denkschrift der
Internationale
von 1866: «Schafft Zustände, worin jeder herangereifte Mann ein Weib nehmen, eine durch Arbeit
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