Freche Mädchen... 09: Liebe, Chaos, Klassenfahrt
getäuscht haben. Ich sah Anke an. Sie verzog das Gesicht. »Muss man da heute Abend hin?« Sie hatte bestimmt genauso wenig Lust auf einen Theaterabend mit Natascha wie ich, wenn auch aus anderen Gründen.
Stefanie nickte. »Es ist doch auch ein tolles Erlebnis, mal eine richtige Schauspielerin in Aktion zu sehen. Übrigens, in zehn Minuten besichtigen wir eine alte Getreidemühle. Ihr solltet euch beeilen.«
Während der Wanderung zur Mühle überlegte ich hin und her. Irgendeine Methode musste es doch geben, Natascha abends aus dem Gleichgewicht zu bringen. Aber sosehr ich auch grübelte, mir fiel einfach nichts Brauchbares ein. Von Anke war auch keine Hilfe zu erwarten. Sie dachte die ganze Zeit nur daran, dass sie den Jungen wiedergesehen hatte.
»Mach dir keine Gedanken«, flüsterte sie mir zu. »Den Abend kriegen wir rum. Wir brauchen ja nicht zu klatschen. Wenn du willst, kann ich auch pfeifen und buh! schreien.«
Kurz nach zwanzig Uhr trafen wir uns im Speisesaal, wo Natascha bereits wartete. Sie trug schwarze Leggings und einen schwarzen Rollkragenpullover und sah ganz fremd aus, fand ich. Stirnrunzelnd musterte sie den Kassettenrekorder, der vor ihr stand, bat Heike, so nett zu sein und das Gerät zu bedienen, und wandte sich dann an uns.
»Zuerst lese ich euch eine kurze Zusammenfassung des Stückes vor – es ist übrigens eines der kaum bekannten von Shakespeare und wir haben es am Theater modernisiert, wie ihr gleich sehen und hören werdet. Ich spiele dann einige Szenen, wenigstens in Auszügen. Wenn einige von euch den Mut hätten mitzumachen, fände ich das toll. Ich sag euch genau, was ihr zu tun habt.«
Öde, dachte ich, wie langweilig, und ich erinnerte mich daran, wie Papa mich das erste Mal mit ins Theater genommen hatte. »Theaterbesuch« hatte ich eigentlich nur ihm zuliebe auf meinen Wunschzettel geschrieben und dabei an eine Art Weihnachtsmärchen gedacht, mit schöner Prinzessin und mutigem Königssohn und vielleicht einer bösen Hexe, die am Schluss besiegt wird. Von wegen. Papa hatte ein modernes Stück ausgesucht, das er wahrscheinlich selbst nicht verstand, das aber, wie er mir später zu seiner Rechtfertigung sagte, hervorragende Kritiken hatte. Männer in Alltagskleidern standen auf der Bühne herum und schrien ihre Texte ins Publikum. Irgendwann musste Papa gehen, weil sich einige Leute über das heulende Kind neben ihm aufregten. Das war Papas erster und letzter Versuch gewesen, mich fürs Theater zu begeistern.
Im ersten Moment befürchtete ich, Natascha würde mich nach vorne holen. Ich werde mich einfach weigern, nahm ich mir vor, und zwingen konnte sie mich ja schlecht. Aber je länger ich darüber nachdachte, umso besser gefiel mir die Idee mitzuspielen. Ich könnte mich so begriffsstutzig anstellen, dass Natascha aus der Rolle fällt und ihr wahres Gesicht zeigt. Wahrscheinlich wird sie rumbrüllen, mutmaßte ich. Dann könnte ich ganz cool sagen: Papa findet es bestimmt nicht toll, wenn du mich anschreist. Genügend Zeugen gab es ja hier. Danni würde wahrscheinlich gleich einschreiten, wenn Natascha unverschämt werden würde.
Ich blickte mich unauffällig um. Herr Dannitzki lehnte an einem der Tische, die in einer Ecke zusammengeschoben waren, und nickte immer wieder beifällig mit dem Kopf. Hatte er uns nicht einmal bei einem Klassenausflug gestanden, dass er durch und durch Naturwissenschaftler sei und von Literatur keine blasse Ahnung habe? Wahrscheinlich tat er jetzt nur so begeistert, um sich vor Natascha nicht zu blamieren.
Tina hielt ein gelbes Reclam-Bändchen in Augenhöhe und schien konzentriert mitzulesen. Dabei war doch weit und breit kein Deutschlehrer in Sicht, bei dem sie damit Punkte machen konnte.
»Ich brauche jemanden, der mir eine Nachricht überbringt. Ich bin Elisabeth die Erste und an meinem Hof herrscht ein strenges Zeremoniell.« Natascha beugte sich vor und musterte uns.
Die meisten sahen verlegen auf den Boden. Das war meine Chance. Ich hob die Hand.
Anke sah mich erstaunt an. »Du willst sie doch boykottieren«, flüsterte sie.
Ich hatte jetzt keine Zeit, Anke meinen Plan zu erklären. »Ich würde gern mitspielen«, sagte ich laut.
Bildete ich es mir ein oder wirkte Natascha tatsächlich etwas verunsichert? Sie zögerte einen Moment. »Freut mich, Carlotta, dass du dich freiwillig meldest. Aber für diese Rolle bist du vielleicht nicht die Richtige. Du solltest Twist tanzen können.«
Twist? Hatte ich schon mal gehört, aber
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