Freche Mädchen... 10: Headline mit Herz
Zaun, der unseren Pausenhof vom Gymnasium trennt, das Tor geöffnet wird und ein Fünftklässler, der sich wie ein Zeitungsverkäufer vom Anfang des vorigen Jahrhunderts eine Schirmmütze aufgesetzt hat und einen Packen Blätter auf dem Arm trägt, zu krakeelen beginnt: »Die erste Ausgabe der No Limits ist da! Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Die No Limits ist da, frisch aus dem Druck und brandaktuell! Die schönsten Mädchen der Schulen – jetzt in der No Limits ! Holt euch die No Limits , Leute! Heute noch für umme, morgen kaum bezahlbar! No Limits für alle!«
Ist das zu fassen? Ich erstarre zur Eisskulptur, während ich auf den Zwerg stiere, der schneller als ich »Bullshit« sagen kann, von einer Traube umringt ist. Nur seine auf dem Kopf wackelnde Mütze lugt hier und da aus der Menge hervor. Ehe ich mich versehe, stehe ich allein da und blicke den schwingenden Popos und rudernden Armen meiner drei besten Freundinnen hinterher, die sich ins Getümmel stürzen, um sich ihre Ausgabe des Käseblatts zu sichern.
Der Wahnsinn. Ich glaube das nicht.
Ich kneife die Augen gegen das Licht zusammen. Alle in dem Pulk dort drüben schreien durcheinander. Diejenigen, die ein Exemplar ergattert haben und sich aus der Menge lösen, kreischen und trampeln vor Glück.
Ich beginne, herumzutrippeln, und stelle mich auf die Zehenspitzen. Ob eine meiner drei Spezis eine Ausgabe erwischt? Dass ich neugierig bin, wie Leon die Zeitung gestaltet hat, das versuche ich gar nicht erst zu verbergen. Das wissen meine Freundinnen.
Rein professionell, versteht sich! Ich mache mich nur nicht zum Affen und fahre die Ellbogen aus, um mir die Erstausgabe der No Limits zu sichern.
Ist das nun positiv oder negativ, dass die No Limits vor uns erscheint?
Auch ein Punkt, über den ich nächtelang gegrübelt habe, ohne wirklich zu einem Ergebnis gekommen zu sein. Kann sein, dass jemand, der die No Limits gelesen hat, danach überhaupt keine Schülerzeitung mehr anfasst, weil es ihm an schulinternem Input reicht.
Kann aber auch sein, dass jemand sich nach dem Boulevard-Müll auf unseren ernsthaften Journalismus freut.
Und es ist möglich, dass die No Limits mit dem Contest zwar einen Hype auslöst, der allerdings nur ein Strohfeuer ist. Morgen ist es gelöscht, und dann haben alle Zeit, sich den wirklich heißen Themen zuzuwenden, die noch langfristig nachglimmen.
Es liegt nicht in meiner Hand.
Fest steht: Die No Limits gibt es ab jetzt – die Insight ab morgen früh. Logisch werde ich keinen armseligen Fünftklässler-Schlumpf ausstaffieren, damit er unsere Zeitung anpreist wie faule Äpfel auf dem Wochenmarkt.
Nein, unsere wird an den Kommunikationspunkten ausliegen, wo sie jeder mitnehmen kann. Keinem wird sie in Marktschreiermanier aufgedrängt.
Ich sehe einen braun gebrannten Arm, der aus dem Pulk herausragt. Die Hand hält ein gefaltetes Zeitungsexemplar umkrampft. Dann Jennys schrille Stimme: »Ich hab eine! Ich hab eine!«
Ist ja gut, denke ich genervt. Handelt es sich um ein Ticket für ein Konzert von Pink oder was?
Jenny löst sich aus der Gruppe – ihr folgen Amelie und Lotta, die es nicht bis zu dem Schreihals geschafft haben. Jenny schlägt gleich die Richtung auf das Wiesenstück ein, das zum Pausenhof gehört. Dort lässt sie sich mit gekreuzten Beinen hinplumpsen. Wir drei scharen uns um sie, die Knie unter den Po gezogen. Jenny legt die Zeitung zwischen uns. Wir verrenken unsere Köpfe und stoßen mit den Schläfen aneinander.
Ich muss mit der Nase dicht herangehen, um überhaupt was zu erkennen.
Auf der ersten Seite sind Dutzende von Fotos in Passbildgröße. Darüber ein kurzer Text, den ich nur überfliegen kann, weil es Jenny und Amelie in den Fingern juckt, umzublättern.
… konnte jeder Schüler Namen oder Fotos einreichen. Wir haben Listen angelegt, um herauszufinden, welches Mädchen am häufigsten genannt wurde. Falls noch kein Foto von einem Mädchen vorlag, das genannt wurde, haben wir die betreffende Schülerin kontaktiert – auch, weil wir ja ihr Einverständnis brauchen, bevor wir sie in der No Limits abbilden.
Der Andrang war überwältigend! Danke an alle.
Besonders gefreut hat uns, dass diese Aktion einmal mehr bestätigt hat: Wahre Schönheit wirkt unabhängig von Modelmaßen. Wir haben zahlreiche Fotos von attraktiven Mädchen bekommen, die in das Raster keiner Modelagentur passen würden und die dennoch das gewisse Etwas haben – eine Ausstrahlung, die nichts mit Kilos und Zentimetern
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