Freche Mädchen... 10: Headline mit Herz
während sie mich beobachtet.
Lotta kommt mit ihrem Gesicht nah, vielleicht, um keine Regung in meiner Miene zu verpassen.
Ich hebe beide Arme. »Okay, okay, alles paletti, Leute. Hast du das Foto geschossen, Amelie?«
Amelie nickt mit einem Gesichtsausdruck, als hätte sie damit ihr Todesurteil besiegelt.
»Klasse Aufnahme. Genau der richtige Lichteinfall, gestochen scharf.«
Amelie ist anzusehen, dass sie sich fragt, ob ich sie verschaukeln will oder es ernst meine. Sie zuppelt nervös am Ärmel ihrer mint gestreiften und violett gepunkteten Tunika, die sie im »Mix & Match«-Look zu einer türkis geblümten Pumphose trägt. Ihre Kreolen unter den karottenroten Strubbellocken klimpern. Falls Leon auf die Idee kommt, auch noch einen Schräger-Kreativlook-Contest auszurufen, hätte ich die beste Kandidatin schon auf dem Schirm.
»Echt jetzt! Mein voller Ernst. Super Foto.«
Sie lächelt wacklig.
»Glückwunsch zum Sieg, Jenny.« Endlich gelingt es mir wieder zu strahlen. »Da haben sie die Richtige gefunden. Ich überlege nur, warum du uns nicht vorher gefragt hast. Wenn es dir so wichtig ist, bestätigen wir dir gern, bis der Arzt kommt, dass du zum Niederknien schön bist. Wir könnten auch einen Gruß einführen, damit wir das nie vergessen: Hi, Jenny-o-du-Weltschönste, Ciao Jenny-o-du-Weltschönste. So kriegst du deine tägliche Dosis und brauchst nicht mehr Fünftklässlern mit Schmierblättern auf dem Arm Gewalt antun und arrogante Möchtegern-Journalisten unterstützen.«
Endlich löst sich die Stimmung zwischen uns. Wir albern herum wie zu unseren besten Zeiten.
Es ist ein bisschen wie: sich im Spiegel penetrant anzulächeln, obwohl man Depris schiebt. Das freundliche Gesicht wirkt auf die Seele und irgendwann fühlt man sich tatsächlich so, wie man vorgibt, sich zu fühlen.
Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass nun die Anspannung weg ist.
Leon hat seinen Boulevard-Schrott unters Volk gebracht, und es ist nichts, worüber die Leute nächste Woche noch sprechen werden. Am meisten hibbeln und kreischen die Schülerinnen, die selbst teilgenommen haben. Jede will ihr Konterfei in der Zeitung sehen.
Menschliche Eitelkeit eben.
Nicht verwerflich, aber eben auch leicht zu manipulieren. Wie es Leon getan hat. Vielleicht werden die Schülerinnen und Schüler heute und morgen noch herumgrölen und Jenny gratulieren oder ihr neidvolle Blicke zuwerfen, aber in spätestens drei Tagen ist der Drops gelutscht. Dann ist wieder Platz für das wahre Leben.
Für die guten Themen.
Die unter die Haut gehen.
Wahrscheinlich werde ich diese Nacht kein Auge zutun, so sehr bin ich auf die ersten Reaktionen zu meiner Mobbing-Reportage gespannt. Ein letztes Mal lese ich meinen Artikel durch:
Nicht wegschauen, sondern aufstehen!
Mobbing an der GaP: Was wir alle dagegen tun können
Von Merle Julieta Fernandez
Am liebsten würde sie morgens gar nicht aufstehen. Im Bett bleiben und die Decke über den Kopf ziehen. Wenn sie an das denkt, was sie erwartet, bekommt sie feuchte Hände. Ihr Herz rast. Ilona hat Angst. Angst vor der Schule.
Wenn sie das Schulgebäude erreicht, würde sie sich gern unsichtbar machen. Sie schleicht sich in ihren Klassenraum, setzt sich an ihren Platz und vertieft sich in die Bücher, tut so, als sei sie beschäftigt. Unauffällig sein.
Es nützt aber alles nichts. Denn die Schüler, die ihr das Leben vermiesen, haben bereits auf sie gewartet.
Vielleicht steht heute auf ihrem Pult »Wie macht der Elefant? Tö-rööö«.
Vielleicht wird heute wieder, wie letzte Woche, in der Klasse ein Zettel herumgegeben, auf dem alle lesen können: »Was ist der Unterschied zwischen Ilona und einem Elefanten? Gar keiner!«
Immer, wenn so etwas passiert, wünscht sich Ilona, dass sich die Erde auftut und sie verschluckt. Oder dass sie ein Mäuschen wäre, das in ein Loch huschen kann. Seit das mit dem Dissen angefangen hat, sind ihre Schulleistungen im Schnitt um ein bis zwei Noten gesunken. Vor zwei Jahren noch gehörte Ilona zu den Besten in ihrer Klasse. Jetzt hängt sie im unteren Drittel.
Ilona ist davon überzeugt, dass keiner sie leiden kann.
Kann sie wirklich keiner leiden?
Wer sind die Typen, die Ilona das Leben unerträglich machen?
Und, vielleicht noch wichtiger: Wer sind die Leute, die es schweigend akzeptieren? Die sich vielleicht ein bisschen schämen, die aber dennoch mitkichern und froh sind, dass sie selbst nicht zur Zielscheibe werden.
Überall, wo Menschen zusammenleben, miteinander
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