Freche Mädchen... 10: Headline mit Herz
Gerade weil das authentisch wirkt, berührt es. Ich wusste gar nicht, dass Mobbing so häufig passiert. Klar kennt man ein paar Spasten, die immer blöde Sprüche draufhaben, aber dass sich das manche zu Herzen nehmen …«
»Also, ich kenne auch Opfer«, erklärt Lotta. »Aber, ehrlich gesagt, habe ich mich bisher nie getraut, dazwischenzugehen. Man hat wirklich Angst, dass man selbst angepöbelt wird.« Sie schluckt. »Ich bin froh, dass ich das hinter mir habe …«
»Voll krass«, fügt Jenny an. »Ich hab auch schon mitbekommen, wenn jemand gedisst wurde, aber ich fand es nicht nötig, einzuschreiten. Ich dachte, jeder hat doch selbst einen Mund, um sich zu wehren.«
Und schon sind wir vier mitten in einer Diskussion über Mobbing. Ich hoffe von Herzen, dass es vielen anderen an unserer Schule nach dem Lesen meines Artikels genauso ergeht: dass man endlich darüber reden will, dass man sich Strategien überlegt, dass man beginnt, mitzufühlen und zu handeln …
In der zweiten großen Pause werde ich von einer Sechstklässlerin angesprochen. Die erste »Fremde«, die das Bedürfnis hat, ihre Meinung zu dem Artikel zu sagen. »Danke, dass du das geschrieben hast«, sagt Marie, die mausbraune Haare und braune Kugelaugen hinter dicken Brillengläsern hat. »Ich würde gern mal mit Ilona reden, geht das? Wo finde ich sie?«
Wenig später quatschen mich zwei Mädchen aus meiner Parallelklasse an. »Wir haben uns überlegt, dass man einen Kummerkasten einrichten könnte. Wie findest du die Idee, Merle?«
Ich kann mich kaum auf meine Antwort konzentrieren, weil mich nun gleich fünf Jungen und Mädchen aus der siebten Klasse bestürmen, die über eine Mitschülerin reden wollen, über die sie sich Sorgen machen, weil sie seit zwei Tagen nicht erschienen ist, und vorher wurde sie nur gehänselt …
So geht das bis zum Schulschluss weiter.
Nachdem einmal der Bann gebrochen ist, nachdem die Jungen und Mädchen die bittere Pille geschluckt haben, denken alle laut darüber nach, wie man mit dem gemeinen Mobbing umgehen soll.
Es wird nicht mehr geflüstert und getuschelt. In allen Ecken, auf jeder Bank und auf den Sofas im Keller hört man die Leute temperamentvoll diskutieren.
Ich habe das Gefühl, aus einer Trance zu erwachen. Die Anspannung der letzten Tage fällt von mir ab. Ich freue mich wie ein Schnitzel, dass wir eine solche Welle in Bewegung gebracht haben.
Besser hätte es nicht laufen können!
In einer Fünf-Minuten-Pause treffe ich Ilona im Flur, die genau wie ich den Klassenraum wechselt. Sie hält mir die Hand zu einem High Five hin, mit einem Lächeln im Gesicht, das ich so noch nie bei ihr gesehen habe. Voll gelöst und glücklich.
Wir klatschen uns ab, ohne ein Wort zu sagen, und sie zwinkert mir zu.
Als ich nach der sechsten Stunde den Rucksack packe, schlappt Rektorin Hotter in ihren Gesundheitssandalen auf mich zu. Mit ausgebreiteten Armen. Sie drückt mich an sich, als wäre ich ein wiedergefundenes Flüchtlingskind.
»Da hast du ein wirklich heißes Eisen angepackt, Merle. Mir brannte die Angelegenheit auch schon längere Zeit unter den Nägeln, habe es bei der Lehrerkonferenz immer mal angeschnitten, aber dann ging es wieder unter, weil es scheinbar Wichtigeres gibt. Du hast die Problematik auf den Punkt gebracht und sauber recherchiert. Hut ab auch vor deiner Kollegin Ilona – durch ihr Outing bekommt der Artikel die persönliche Note, die es braucht, um die Leute betroffen zu machen. Erstklassig, Merle, danke.«
Mich bringt nicht viel aus der Fassung, aber diese meterlange Lobesrede der Rektorin macht mich schon ein bisschen sprachlos. »Vielen Dank, Frau Hotter …«
»Wir sollten die allgemeine Aufmerksamkeit nutzen, um etwas für die Zukunft in die Wege zu leiten. Wäre schade, wenn in einigen Tagen wieder alles im alten Fahrwasser laufen würde.« Nachdenklich streicht sie sich über das Kinn, während sie mich fixiert. »Mir schwebt eine Mobbing-Beratungsstelle an unserer Schule vor. Wir haben zwar die Psychologin mit ihren Sprechstunden, aber zu ihr geht kaum ein Schüler freiwillig. Jeder glaubt, die anderen hielten ihn für einen Psycho, wenn sie das Schulangebot nutzen, nicht?« Sie stößt ein freudloses Lachen aus.
Ich lächle schief. »Ich fürchte, das stimmt.«
»Deswegen müsste eine Beratungsstelle auch nicht mit einer erwachsenen Fachkraft besetzt sein, sondern … mit einer Schülerin oder einem Schüler! Was meinst du?«
Meine Hand fährt an meine Brust. »Aber
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