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Freddy - Fremde Orte - Blick

Freddy - Fremde Orte - Blick

Titel: Freddy - Fremde Orte - Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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in den nächsten Abfalleimer, als er sich unter mehreren Verbeugungen abgewandt hatte. Auch wenn er sich nicht gerade verbeugte, reichte er ihr nur bis zum Kinn.
    Überhaupt kam sie sich merkwürdig groß vor, seit sie durch die hypermoderne Flughafenanlage gingen. Melanie maß einen Meter dreiundsiebzig und hatte sich nie für eine Riesin gehalten. Doch selbst in diesen ungeheuren Räumlichkeiten erschien ihr die Perspektive irgendwie verzerrt. Das meiste Leben spielte sich unterhalb ihrer Augenhöhe ab. Als sie eine Toilette aufsuchte, waren die Spiegel über den Waschbecken so niedrig angebracht, dass sie sich bücken musste, um ihr Gesicht zu sehen. Auch was sie im Spiegel sah, befremdete sie: Ihre roten Haare schienen zu leuchten, ihre grünen Augen wie Smaragde zu schillern, und ihre Züge wirkten weniger vertraut als sonst.
    „Ich falle auf“, murmelte sie hilflos. Madoka hatte auf sie gewartet, und auch sie sah nicht gerade glücklich aus. Durch die deutsche Passkontrolle in Frankfurt hatte sie es ohne Probleme geschafft, aber die Japaner, so sagte sie, waren strenger.
    „Keine Sorge“, hauchte Melanie ihr zu.
    Eigentlich hatte sie erwartet, dass Madoka in dieser Umgebung mit all den Japanern weniger exotisch gewirkt hätte. Das wäre nur fair gewesen, denn hier war Melanie der gaijin , der Ausländer. Seltsamerweise stimmte das nicht. Auch hier hob sich Madoka ab. Es gab etwas, das tiefer lag als ihr Aussehen, die Attribute ihrer Rasse. Melanie begriff, dass Madoka überall eine Außenseiterin sein würde, wohin sie auch ging.
    Madoka hatte noch eine Überraschung für sie gehabt. In China hatte man ihr nicht nur einen, sondern gleich zwei Pässe gemacht. Sie lauteten auf denselben Namen, doch in einem davon besaß sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Diesen nutzte sie für diese Reise, um zu verhindern, dass es Probleme mit ihrem Studentenvisum gab.
    Schon im Flugzeug hatten sie die Einreiseformulare ausfüllen müssen, die sogenannten Embarkation Cards for Foreigners. Bei der Kontrolle würden sie in den Pass geklebt werden. Madoka hatte sich zusammen mit Melanie in die Schlange für Ausländer einzureihen. Die Reihe der Ausländer war kurz, und trotzdem mussten sie lange warten, denn unmittelbar vor ihnen gab es Probleme mit einer chinesischen Großfamilie, die weder Englisch noch Japanisch sprach und die man offenbar nicht einreisen lassen wollte.
    Eine Viertelstunde lang standen sie an der weißen Linie. Sie sollte die Privatsphäre der Reisenden schützen – eine Farce angesichts des Geschreis, das der bullige ältere Beamte veranstaltete. In holprigem Englisch brüllte er, so dass es alle hören konnten, die Chinesen sollten zurückgehen, wo sie herkamen, und Madoka verriet ihr später, dass er dazwischen auf Japanisch noch wesentlich heftigere Dinge gesagt hatte. Als vier Polizeibeamte die Familie aus der Halle hinaus eskortiert hatten, fuhr sich der Mann in dem Kontrolleurshäuschen durch die verschwitzten graumelierten Haare und winkte Melanie unwillig zu sich.
    „You sightseeing?“, fragte er mit hochrotem Gesicht, während er die Embarkation Card studierte und in ihren Pass heftete.
    „Yes“, erwiderte Melanie.
    „How long time?“
    „Four weeks.“ Das war der Zeitraum bis zu ihrer Rückreise. Sie wollten sich nicht unter Zeitdruck setzen. „I’m traveling with her.“ Melanie zeigte auf Madoka, die hinter ihr stand und sich bei der Geste automatisch in Bewegung setzte.
    „You stay behind line!“, polterte der Beamte, und eine dicke Ader auf seiner Stirn sah aus, als wollte sie herausspringen. „You see white line? Feet behind line, right?“ Madoka zuckte zurück.
    Er klappte Melanies Pass zusammen und reichte ihn ihr. „Four weeks long time sightseeing. You no work? Student?“
    Melanie nickte, und er winkte sie weg. Es war ein bisschen, als würde er vorwitzige Spatzen verscheuchen, die sich zu weit in die Nähe seines Schalters gewagt hatten.
    Madoka kam an die Reihe und begrüßte den Beamten auf Japanisch. Dieser schien es nicht gehört zu haben, denn er blieb bei dem, was er für Englisch hielt. „You sightseeing?“
    Madoka antwortete auf Japanisch.
    „Tanigawa Madoka. Japanese Name“, konstatierte er.
    Wieder gab sie eine Erklärung in ihrer Muttersprache ab, eine ausführliche diesmal. Melanie beobachtete sie aus zehn Metern Entfernung und spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog.
    „German nationality“, sagte der Beamte hart mitten in die Erläuterungen

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