FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
Der ermordete Klaus Emmerich, dessen Leiche du in der Elbe entdeckt hast. Vertrau nicht dem, was andere Leute dir sagen, denn sie könnten dich belügen. Vertrau nicht deinem Verstand, denn der könnte sich irren. Vertrau dem, was du siehst, hörst, fühlst und erlebst. Das ist die Wirklichkeit. Das ist die Wahrheit.«
Rosa überlegte fieberhaft, dann schüttelte sie den Kopf und sagte: »Gefühle lassen sich täuschen. Ebenso kann das, was ich sehe und höre, nur eine Illusion sein. Jeder Gaukler arbeitet damit.«
»Aber hier stehe ich. Ich bin kein Geist. Ein Geist hat kein Fleisch und Blut, wie ich es habe. Hat das nicht auch Jesus gesagt?!«
Emmerich ging zur Tür und ergriff ein Seil, das dort um einen Haken gewickelt war. Er löste es und sagte: »Komm, steh auf.«
Jetzt erst bemerkte Rosa, dass ihre gefesselten Hände mit dem Seil verbunden waren, das der Mann in seinen Händen hielt. Es lief über einen Ring, der in der Decke befestigt war, bis zum Haken an der Tür. Damit hatte Emmerich sie unter Kontrolle und konnte ihr dennoch einen gewissen Freiraum zur Bewegung lassen.
Sobald sie sich erhob, zog der Mann das Seil straff, sodass sich ihre Hände über ihrem Kopf befanden. Er befestigte es wieder am Haken, trat zu Rosa und fasste sie hart an den Schultern. Sein fauliger Atem widerte sie an.
»Glaubst du nun, dass ich kein Geist bin? Ich bin auferstanden von den Toten mit Fleisch und Bein. Gott hat mich ins Leben zurückgerufen, damit ich meiner Bestimmung folge.«
»Und die wäre?«, fragte Rosa, um Emmerich wieder auf Abstand zu bringen. Dieser Mann war ihr nicht nur unheimlich, sondern so unangenehm wie Taubenmist auf der Haut.
Doch Emmerich beugte sich noch weiter nach vorne, bis sich ihre Gesichter fast berührten, starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an und zischte: »Rache!«
Dann trat er wieder zurück und giftete: »Man hat mich kleingehalten und meine Geschäfte vermasselt. Nicht mal geringe Gewinne hat man mir gegönnt. Man hat mich gesellschaftlich missachtet und über mich die Nase gerümpft. – Ich hasse alle diese fetten Säcke, die nur ihren Vorteil sehen und andere mit Füßen treten. Ich hasse diese Scheinheiligen, die in der Kirche fromme Masken tragen, im Rat große Reden schwingen und ihren Mitbürgern die Luft abdrehen, sobald sie es gefahrlos können. Ich hasse sie alle!«
Erregt lief Emmerich durch die dunkle Kammer hin und her und gestikulierte wild mit seinen Händen.
»Und deswegen hat Gott dich zurück auf die Erde geschickt? Damit du dich an deinen Feinden rächen kannst?«
»Ja! Genau so ist es! Und wenn es so weit ist, werde ich die Tore der Stadt zerschmettern. Dann werden die katholischen Truppen mich rächen. Sie sind die siebenschwänzige Geißel des Todes in des höchsten Gottes Hand.«
»Das glaub ich nicht«, erwiderte Rosa, »Gott ist ein Gott der Liebe und Barmherzigkeit. Hass und Gewalt sind ihm fern. Du bist ja vom Teufel besessen.«
Mit einem Schrei stürzte sich der Mann auf Rosa und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Ihr ganzer Kopf dröhnte wieder, doch sie biss sich auf die Lippen, um keine Schwäche zu zeigen.
So schnell wie seine Wut aufgeflammt war, verrauchte sie, und Emmerich hatte sich wieder unter Kontrolle.
»Du bist des Lohgerber Münkoffs Balg. Jetzt erkenne ich dich.«
»Ich bin nicht sein Balg, ich bin seine Tochter.«
»Tss, tss«, antwortete ihr der Mann, »ob Balg oder Tochter, auf jeden Fall bist du eine Hexe. Ja, eine Hexe, die den Männern der Stadt den Kopf verdreht. Deshalb werde ich dafür sorgen, dass du brennen wirst, noch bevor die Kaiserlichen einen Fuß in die Stadt gesetzt haben. Das verspreche ich dir!«
Rosa erschrak. Sie hätte nicht so weit gehen dürfen! Sicherlich war der Mann verrückt, wenigstens ein bisschen, aber das durfte man solchen Leuten nicht sagen.
»Entschuldige, dass ich so unverschämt war. Hätte nicht passieren dürfen«, sagte sie entwaffnend und versuchte den Mann anzulächeln. Es misslang ihr.
»Na, jetzt habe ich dir aber Angst gemacht!«, grinste der. Er dachte kurz nach, dann fuhr er fort: »Vielleicht lasse ich dich hier aber auch einfach verrotten und von den Ratten fressen.«
Dann drehte er sich um und setzte sich mit dem Rücken zu ihr wieder an den Tisch, um in einem Stapel Papier zu stöbern.
Rosa überlegte fieberhaft, was sie machen sollte, während sie mit hochgezogenen Händen an der Wand stand. Sie fand einfach keine Lösung. Hier unten würde sie niemand finden,
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