FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
Jerusalem mit ihren Rammböcken einrissen. Und Gustav Adolf sei kein göttlicher Heilsbringer.
Graf Tilly, Generalfeldmarschall von Pappenheim, General Wachtmeister Oberst Schönburger und alle Obristen versammelten sich am Donnerstag in der Neustadt. Sie hofften, dass die Magdeburger nun doch verhandeln wollten – jetzt wo klar war, dass der Sturm auf die Stadt unmittelbar bevorstand. Viel unnötiges Blutvergießen könnte so verhindert werden. Doch die Magdeburger verteidigten sich tapfer und verbissen weiter und feuerten aus allen Rohren zurück.
Am Freitagmorgen konzentrierte Graf von Pappenheim das Feuer auf den Pforten-Turm. Dreihundert Kartaunenkugeln ließ er durch schwere Geschütze auf das Bollwerk abschießen. Schließlich stürzte es unter großem Jubel der Kaiserlichen zusammen. Auch das Rundell wurde schwer getroffen. Die Feuerkugeln richteten dagegen weiterhin nicht viel aus. Alle Einwohner der Stadt, die nicht die Mauer verteidigten, standen mit Wassereimern bereit, um die Brände sofort zu löschen.
Am Freitagabend rückten die Kaiserlichen auf Befehl Pappenheims wieder mit Schanzkörben gegen die Mauer vor. Doch auch diesmal hatten sie keinen Erfolg, denn Generalmajor Carl Huno von Ambsterroth machte zwei Ausfälle und vertrieb die Pappenheimer wieder.
17.
Ihr Kopf dröhnte, als wenn tausend Zwerge mit Eisenschlegeln darin um die Wette hämmerten. Allmählich kam Rosa wieder zu sich. Ihr Mund war trocken, und ihre Arme schmerzten. Sie versuchte die Augen zu öffnen, aber ihre Lider waren schwer wie Blei. Was war geschehen? Wo war sie, und warum war sie bewusstlos geworden?
In der Ferne hörte sie Kanonendonner und das Krachen von Explosionen. Tilly und Pappenheim hatten mit ihrer entscheidenden Offensive gegen Magdeburg begonnen, dachte sie benebelt. Langsam kehrte ihre Erinnerung zurück. Sie war dem Emmerich-Phantom in die unterirdischen Gänge gefolgt, und jemand hatte sie niedergeschlagen. Nein, nicht jemand, sicherlich war es dieser Mann selbst gewesen!
Jemand räusperte sich. Sie war nicht allein!
Mit aller Kraft kämpfte sie gegen die Benommenheit an und öffnete ihre Augen. Sie lag mit gefesselten Händen auf dem Steinfußboden eines Raumes, der nur spärlich von einer Talgkerze erhellt wurde. Vor ihr saß ein Mann im Kapuzenmantel an einem Tisch und beobachtete sie interessiert. Sein Gesicht lag im Schatten, doch sie wusste, dass es Emmerich war, oder besser gesagt: sein Phantom, denn Emmerich war mausetot.
»Wo bin ich?«, fragte sie mit heiserer Stimme.
»Im Hades, Schätzchen, tief unter der Erde, wo die Schatten leben.«
»Red keinen Unsinn«, gab Rosa schwach zurück, »es gibt keinen Hades.«
»Und ob es ihn gibt, denn ich bin selbst aus ihm emporgestiegen, um mich an meinen Mördern zu rächen. Sieh her!«
Der Mann erhob sich und schob die Kapuze zurück.
Auch wenn sie es schon geahnt hatte, stieß Rosa einen leisen Schrei des Entsetzens aus.
»Ich bin Klaus Emmerich, ermordet von den Geldsäcken der Stadt.«
Er war es tatsächlich: Emmerich, der alte Kaufmann, der sich trotz einträglicher Geschäfte ärmlich gekleidet hatte und mit seiner Frau ohne den geringsten Luxus in einer alten Kaschemme gelebt hatte. Er war es.
Rosas Gedanken wirbelten durcheinander. Wie konnte das sein? Sie hatte den Toten gesehen. Es war Emmerich gewesen, natürlich verunstaltet, aufgedunsen und unförmig durch die vielen Tage im Wasser. Das Phantom war für sie bisher nur eine Täuschung gewesen, jemand, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Verstorbenen hatte und dies ausnutzte – aus welchem Grund auch immer. Mit Schminke, künstlichen Haaren und verstellter Stimme konnte ein guter Schauspieler leicht in die Rolle eines anderen schlüpfen, besonders wenn er nur im Halbdunkel agierte. Der Mann vor ihr aber war echt.
»Jetzt wunderst du dich, nicht wahr?! So real hast du noch keinen Untoten vor dir gesehen. Ich bin aus der Unterwelt emporgestiegen, um Rache zu üben.«
»Luther hat gesagt, dass die Toten bis zum Tag des Gerichts in ihren Gräbern ruhen und nicht wissen, wo sie sind«, antwortete Rosa fast trotzig.
»Ach, was weiß Martin Luther schon!«, wehrte Emmerich ab. Sein Grinsen hatte etwas Diabolisches. »Ich bin ihm vor Kurzem begegnet. Er machte ein recht betrübtes Gesicht, weil seine Reformation gerade den Bach heruntergeht.«
»Das glaub ich dir nicht. Du bist dem Mann niemals begegnet, schon gar nicht in der Unterwelt.«
»Du irrst dich, denn siehe, hier stehe ich.
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